New Germany?

Es dürfte jedem Neuseelandtourist ziemlich schnell auffallen, dass die Bezeichnung dieses wunderschönen Fleckchens Erde falsch gewählt ist. Schon nach den ersten zwei Nächten in Auckland oder auch Christchurch, zumindest aber nach den nächsten 5 Tagen an einem beliebigen anderen Ort in Neuseeland fällt auf, dass es nicht das neue Land der Seeländer ist, sondern viel mehr der Deutschen. Zumindest stößt man an jeder dritten Ecke auf deutsche Touristen. Und an jeder ersten Ecke auf deutsche Backpacker. Die Unterscheidung ist wichtig, denn Backpacker sind natürlich auf keinen Fall Touristen, schließlich machen die ja „nur normal Urlaub“ in Neuseeland.

German Backpacker Risk Index

German Backpacker Risk Index im Foley Towers, Christchurch

Man trifft uns Deutsche auf den Straßen, in Supermärkten, in Hostels, im Busch, auf allen erdenklichen Wanderwegen, in den entlegendsten Gebieten ganz am Ende tiefer Höhlen, auf Campingplätzen – einfach überall. Müsste es deshalb nicht viel mehr Neudeutschland heißen beziehungsweise New Germany auf Englisch? 

Keineswegs, denn dass diese Logik völlig falsch ist, beweist ein Blick auf den Wikipedia-Eintrag über die niederländische Provinz Seeland. Letztere ist nämlich Namensvater des Begriffs Neuseeland.

“In the summer, its beaches make it a popular destination for tourists, especially German tourists. In some areas, the population can be two to four times higher during the high summer season.”

Also gerade weil wir in solchen Massen in Neuseeland einfallen, wie wir dies laut Wikipedia auch in Seeland tun, muss der kleine Inselstaat im Pazifik selbstverständlich Neuseeland heißen! Und genauso wie in Seeland, ist auch in dem Land der langen weißen Wolke¹ zur Sommersaison ein signifikanter Populationsanstieg zu beobachten, denn die meisten von uns reisen im neuseeländischen Sommer in das Land der Hobbits. Und diese meisten von uns sind 18, wohnen noch bei Mutti, haben gerade ihr Abitur hinter sich gebracht und sind nun für die nächsten 6 bis 8 Monate allein auf großer WeltNeuseelandreise. Warum nur 6 bis 8 Monate? Na danach beginnt ja in Neuseeland der eisig kalte Winter, und wer ist auch schon so blöd und bleibt im Winter, wenn er in Deutschland wieder Sommer haben kann? Außerdem beginnt ja dann auch das Studium. Schließlich konnten sich die ganzen 18jährigen, die zu Beginn ihrer Reise noch keinen Schimmer hatten was sie denn studieren wollen, dank der absolut erleuchtenden Findungsphase im Ausland ganz gezielt für DEN Studiengang entscheiden. Zu dumm, dass ich schon vor meiner Reise studiert und diesen Erleuchtungseffekt ausgelassen habe.

Picton während des eisig kalten Winters.

Picton während des eisig kalten Winters.

Im Winter sind die meisten von uns also schon wieder zu Hause. Und das merkt man – es werden keine Abinoten mehr diskutiert, die Internetbandbreite geht dank des fehlenden Whatsapp-Traffics wieder nach oben, in den Hostels laufen Filme wieder auf Englisch und es wird weniger Brot gebacken. Denn als selbsternannte Gourmetnation, ist es uns selbstverständlich unmöglich über einen längeren Zeitraum ohne unser festes, krustiges Brot zu überleben. Aber nicht nur das Toast, sondern auch das mit Zucker gebraute Bier, die absolut unzureichend gewürzten Würstchen und das völlig falsche Verständnis von Molkereiprodukten ist für uns wahrlich eine Zumutung. Doch wer sucht, der findet! So lässt sich zumindest im New World – dem roten Supermarkt – Kwark für einen exorbitanten Preis erstehen, um damit heimatliche Gefühle aufkommen zu lassen. Und ja, das heißt in Neuseeland Kwark. Ich vermute, dass daran ein legasthenischer Deutscher schuld ist, der eine findige Idee hatte und die riesige Quarkmarktlücke schießen wollte, denn Quark kennt hier ja niemand. 

Links: Mein erstes Brot. Rechts: Leckeren Quarkkeulchen - danke Karsten!

Links: Mein erstes Brot. Rechts: Leckere Quarkkeulchen – danke Karsten!

Ein weiteres Indiz dafür, dass New Germany der falsche Begriff für dieses gemütliche Fleckchen Erde wäre, ist der englische Baustil, für den wir uns dann vermutlich schämen müssten. Zumindest die zahlreichen aus Deutschland angereisten Hobbybaugutachter lassen nicht viel gutes an den kleinen Holzhäuschen, die da mit einfacher Verglasung, ohne jegliche Isolation, völlig kellerlos und ohne Zentralheizung in der Gegend rumstehen. Wie sich darin nur der arktische Winter überstehen lässt?

Typisches Holzhaus - trotzt auch kleinen Erdbeben ohne Riss im Mauerwerk.

Typisches Holzhaus – trotzt auch kleinen Erdbeben ohne Riss im Mauerwerk.

Neuseeland ist auf jeden Fall viel zu anders – viel zu fremd für uns, um sich mit dem Namen New Germany zu „schmücken“. 

1 ... Die Māori-Bezeichnung Aotearoa lässt sich als „Land der langen weißen Wolke“ übersetzen.

  22.05.14 um 23:13 Uhr
  menschen, new zealand, reise
auch lesen:
vorheriger Artikel:
Rätseln im Chemiezimmer
auch lesen:

Kommentare

Es sind keine Kommentare vorhanden.

Kommentar verfassen





optional, wird nicht veröffentlicht

optional

Bitte rückwärts eingeben!