Mit dem Rad durch den Hohen Kaukasus

Georgien gehört zu den Kaukasus-Ländern und natürlich wollte ich einmal so richtig durch diese mächtige Berglandschaft radeln. Geplant hatte ich einen Klassiker unter den Reiseradlern in der georgischen Region Swanetien: Von Zugdidi aus nach Mestia, weiter nach Ushguli und anschließend über den Zagaro-Pass nach Lentekhi. Gehört hatte ich schon so einiges über diese Route – schlechte Straßenqualität, steile Anstiege und unglaublich schöne Ausblicke. Auch wenn es vielleicht nicht die einfachste Radeletappe werden sollte, gelohnt hat sie sich alle mal.

Doch erstmal hieß es warten, denn die ersten drei Wochen meiner Zeit in Georgien regnete es. Und bei Dauerregen unbefestigte Straßen zu fahren, ist nichts was man freiwillig macht. Anfang Juli sah es dann aber endlich gut aus und so radelte ich in Richtung des Startpunktes Zugdidi. Auf dem Weg dahin gab es noch zwei Abstecher zu frei zugänglichen Thermalquellen – etwas, was ich definitiv mit Georgien verbinde.

Als es nach einer Mittagspause ein Stückchen hinter Zugdidi weiter gehen sollte, schienen am Horizont zwei Fahrräder aufzutauchen. Ein paar Minuten später begrüßten mich Daniela und Milan aus der Schweiz. Wir hatten die gleichen Pläne und radelten erstmal gemeinsam weiter. Es dauerte nicht lange bis wir schlagartig die flache Landschaft in ein nur so vor Grün strotzendes Tal mit mächtigen Bergen um uns herum verließen. Die Straße war hier noch von guter Qualität, so ging es zwar schweißtreibend aber trotzdem noch ganz gut erträglich die ersten Kilometer hinein in das Kaukasusgebirge. Die erste Nacht schlugen wir dann die Zelte neben einem kleinen Restaurant an der Straße auf. Gesellschaft hatten wir außerdem noch von einer Schweizer Familie, die in einem Expeditionsmobil unterwegs war – ein schöner Abend mit jeder Menge Geschichten von der Straße.

Auf dem Weg nach Mestia.

Bei bestem Radelwetter ging es die nächsten zwei Tage weiter in Richtung Mestia. Die Straße zeigte so langsam die ersten Spuren des harschen Gebirges und weniger intensiver Pflege. Doch hatten wir hier noch Aspahlt oder Beton unter den Reifen und kamen recht gut voran. Die Bergkuppen um uns herum begannen nun langsam weiße Kronen zu tragen – im Sommer ein gutes Zeichen für ein richtiges Hochgebirge. Aus der Ferne war unten im Tal der reißende Gebirgsbach zu hören, an einer Stelle entdeckte ich eine ziemlich gruselig aussehende Hängebrücke. Ein Glück, dass wir da nicht drüber mussten. Je mehr wir uns der kleinen Gebirgsstadt Mestia näherten, desto öfter ging es auch durch winzige Siedlungen beziehungsweise Dörfer. Immer dabei waren die für Swanetien typischen Wehrtürme. Die ältesten davon stammen wohl schon aus dem achten Jahrhundert. Sie wurden typischerweise von jeder Familie neben ihrem Wohnhaus errichtet, um darin im Angriffsfall Zuflucht zu suchen und das Gebiet gleichzeitig von oben zu verteidigen.

Irgendwann kam uns ein Motorrad-Reisender entgegen und berichtete davon, dass die Straße ein Stück hinter Mestia gesperrt sei. Wie lange das ganz dauern sollte war unklar. Da wir aber eh erstmal eine kleine Pause in der Bergstadt eingeplant hatten, waren wir noch voller Hoffnung, dass sich dieses Problem schon irgendwie auflösen würde.

Mestia.

Mestia ist die touristische Stadt in Swanetien schlecht hin. Gefühlt ist die ganze Stadt eigentlich nur auf bergbegeisterte Touristen ausgelegt. Was jetzt vielleicht sehr anstrengend klingen mag war jedoch zum Zeitpunk unseres Besuchs trotzdem noch ganz angenehm. Die Bergstadt ist nicht besonders groß und auch wenn sich hier viele Reisende aufhalten, so ist es nicht mit einer Stadt in den Österreichischen Alpen zu vergleichen. In Katjas Guesthouse fanden wir ein wunderbares Plätzchen für die nächsten zwei Tage.

Schon ziemlich früh am nächsten Morgen brach ich auf in Richtung Gulli Pass. Schon lange hatte ich mich darauf gefreut mal wieder richtig Wandern zu gehen und es war traumhaft! Zunächst ging es recht Steil aus dem Tal hinaus auf einen Aussichtspunkt mit grandiosem Panorama. In jeder Richtung gab es schneebedeckte Riesen zu bestaunen – einer schöner als der andere, bis auf einen – den König Swanetiens: Mount Ushba. Er ist mit seiner Doppelspitze die Ikone Swanetiens und zeigte sich zumindest noch für ein paar Minuten fast ohne Wolken in voller Pracht – ein Anblick den ich in den folgenden Tagen nicht mehr zu sehen bekommen würde. Von dem Aussichtspunkt führte anschließend ein Fahrweg weiter hinauf in Richtung der Koruldi Seen. Mein Weg bog jedoch irgendwann links ab und verwandelte sich in einen schmalen Pfad entlang eines steilen Hanges, der es schon etwas in sich hatte. Doch ich genoss jeden Meter – das Wandern in alpiner Landschaft ist einfach großartig. An einer Scharte war dann allerdings Schluss – zumindest traute ich mich nicht weiter. Denn vor mir lag ein recht großes Schneefeld, unter dem drei kleine Bäche hindurch flossen. Spuren anderer Wanderer waren nicht zu erkennen und die Stabilität des ganzen war äußerst fragwürdig. So ganz allein war mir das Risiko auf dem Schneefeld einzubrechen einfach zu hoch. Letztendlich gab es auf dem Rückweg dann noch einen kleinen Umweg über die Koruldi Seen. Diese sind zwar für sich genommen nicht unbedingt spektakulär, liegen aber dafür an einem guten Aussichtspunkt für weitere geniale Ausblicke, unter anderem zur nahe gelegenen russischen Grenze.

Zeit zum Wandern.

Am darauf folgenden Tag hatte ich mich zu einer kleinen Runde mit Ariel verabredet – einem amerikanischen Reisenden. Aus Zeit und für mich auch Energiegründen ließen wir es etwas ruhiger angehen und nahmen die Seilbahn aus dem Tal hinauf und wanderten nur ein kleines Stück zu einer schönen Aussicht. Bei interessanten Gesprächen konnte ich hier Ariel zuschauen, wie er das uns gegenüberliegende Bergpanorama zeichnete. Ich versuchte während dessen mein fotografisches Glück mit verschiedenen Linsen an der Kamera.

Ausflug auf der anderen Talseite.

Zurück im Tal gab es die Information, dass die Straße nach Ushguli wieder offen sei – beste Voraussetzungen, um am nächsten Tag weiter zu rollen. Daniela und Milan waren auch recht froh darüber, scheinen Schweizer doch mit dem Wandern im Gebirge nicht so viel anfangen zu können.

Wir rollten also weiter in Richtung der höchstgelegenen, dauerhaft bewohnten Dorfgemeinschaft Europas. Das aus vier kleinen Dörfern bestehende Ushguli befindet sich auf ca. 2100 bis 2200 Metern schon in ganz schöner Abgeschiedenheit. Nicht ganz unverantwortlich für diese Abgeschiedenheit ist vermutlich auch die Straßenqualität. Der überwiegende Teil aus Mestia hinaus ist betoniert und recht gut fahrbar – wenn auch mit ein paar steilen Passagen. Doch die letzten acht Kilometer sind unbefestigt. Herausfordernd ist diese Stück vor allem durch seine prädestinierte Lage. Linker Hand befindet sich ein recht brüchiger sowie steiler Felshang, zur Rechten geht es meist recht tief ohne große „Auffangzone“ in Richtung des Bergbaches. Die hier eher als Piste zu kategorisierende Straße erodiert nur so fleißig vor sich dahin. Und so standen wir dann auf einmal hinter ein Kurve auch direkt vor einer Straßensperre. Ein Beamter erklärte uns, dass diese erst in zwei Stunden wieder geöffnet werden würde – im Moment war wohl ein Bauteam mit der Sicherung der Straße beschäftigt. Vermutlich war genau das die Stelle, wo ein Geröllabgang in den letzten Tagen für die Vollsperrung gesorgt hatte.

So richtig glücklich waren wir nicht über die Situation, denn einen vor Steinschlägen gut geschützten Platz zum Pause machen gab es nicht. Trotzdem packten wir die kleine Küchenausrüstung zum Kaffee kochen aus, als unerwarteter Weise nun doch die Straße geöffnet wurde. Der Beamte signalisierte uns, dass wir nur wenige Minuten zum passieren Zeit hätten. Also schnell wieder rauf auf die Räder und auf in ein Schlachtfeld aus Geröll. Die folgenden vielleicht 500 bis 1000 Meter waren wirklich ziemlich gruselig. Zu unserer Linken rieselten kleine Steine hinunter, es war offensichtlich dass hier der Berg arbeitete. Bloß nichts wie schnell weg hier. Aber alles verlief glimpflich und es folgte ein letzter Anstieg hinauf nach Ushguli.

Auf nach Ushguli.

Die Ankunft in der Dorfgemeinschaft hatte etwas magisches. Die Wiesen um uns herum waren saftig grün und umgeben von mächtigen Bergen. Mitten drin standen die uralten aus Bruchsteinen gesetzten Wohngebäude, natürlich immer in Begleitung eines Wehrturms. Die Grundstücke waren entweder durch Bruchsteinmauern oder Holzzäune voneinander getrennt. Ich fühlte mich etwas wie in eine andere Zeit zurück versetzt. Der Blick auf den mit 5201 Meter höchsten Berg Georgiens „Schchara“ blieb uns dank Wolken leider verwehrt. Zu meiner Überraschung standen dann allerdings auf einmal Kaddi und Jevsej vor uns – wir hatten uns bereits in Kroatien und Griechenland getroffen. Ein perfekter Grund um gleich mal in einer größeren Reiseradler-Runde anzustoßen.

Aufstieg zum Zagaro Pass.

Ushguli ist für die meisten Reisenden eine Sackgasse. Der von da aus weiterführende Weg ist nur noch für Allrad-Fahrzeuge, Motorräder oder verrückte Radfahrer machbar. Die Wetterbedingungen am nächsten morgen waren gut und so wagten wir uns hinauf in Richtung des 2623 Meter hohen Zagaro Passes. Doch schon nach den ersten rund drei Kilometern rief ich den Streik aus. Der unbefestigte Untergrund in Kombination mit der Steigung forderte mich so heraus, dass mein Körper nach Energie schrie. Die beiden gaben meiner „Laune“ sofort nach und so Frühstückten wir erstmal, bevor es weiter ging. Frisch gestärkt ließen sich die letzten Kilometer hinauf zum höchsten Punkt der Tour dann doch noch meistern – langsam und Stück für Stück. Die kleinen Stopps zwischendurch waren schon allein zum Genießen der großartigen Landschaft richtig gut.

Endlich oben auf dem Pass angekommen, waren wir alle drei mega glücklich. Solch einen Moment mal mit anderen Reiseradlern war schon etwas Besonderes – zuletzt hatte ich das vor einer ganzen Weile in Albanien.

Ankunft und Abfahrt vom Zagaro Pass.

Was nun kam, könnte man vielleicht als das Filetstück der ganzen Tour bezeichnen: Die Abfahrt vom Pass. Die „Straße“ war hier äußerst verblockt, ziemlich steil und immer wieder auch mit Passagen von losem Gestein durchzogen. Hin und wieder gab es auch die ein oder andere Furt. Es war schon eine äußerst technische Abfahrt, die höchste Konzentration verlangte. Eine falsche Bewegung hätte mindestens zu einem blutigen Sturz geführt. Auf dem schwer beladenen Tier schon eine besondere Nummer, die aber auch ziemlich viel Spaß gemacht hat. Zumindest dank des trockenen Wetters – bei Nässe dürfte das wohl eine kaum passierbare Schlammhölle sein.

Bye, bye Milan und Daniela!

Am Nachmittag gab es dann weiter unten im Tal endlich wieder festen Straßenbelag unter den Reifen und so kamen wir dann ein ganzes Stück schneller voran. Gegen Abend campierten wir ein letztes mal gemeinsam am Fluss, bevor sich unsere Wege am nächsten Tag ein Stück hinter Lentekhi wieder trennten.

Ein genialer Ritt durch den Hohen Kaukasus mit toller Begleitung!


Reisezeit: Juli 2022

Kommentare

3 Antworten zu „Mit dem Rad durch den Hohen Kaukasus“

  1. Benutzer Icon
    Christian

    Straße
    [lateinisch strata]
    für den Verkehr von Fahrzeugen besonders hergerichteter, befestigter Weg; auch auf schiffbare Binnengewässer (Wasserstraßen) angewandt.

    Du beweist, dass ein Lexikon nicht alles wissen kann! 😉
    LG
    Christian

    1. Benutzer Icon

      Zeit für eine Neuauflage 😀

  2. Benutzer Icon

    Herr Päßler hat uns gezwungen

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