Sackgasse Panamericana?

Die Panamericana.

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Panama war das letzte zentralamerikanische Land auf meiner Route nach Südamerika. Zusammen mit François – einem Radreisenden, den ich ein paar Tage zuvor in Costa Rica getroffen hatte – reisten wir am Grenzübergang Paso Canoas völlig problemlos ein. Der neue Stempel im Pass befugte uns, 90 Tage in dem Land zu verbringen – eine Zeitspanne, die wir für dieses kleine Land garantiert nicht ausreizen würden.

Unterwegs waren wir auf der Panamericana – „der längsten Straße der Welt“. Sie beginnt in Prudhoe Bay in Alaska und führt bis nach Ushuaia in Argentinien. Die Panamericana ist nicht überall genau eine Straße, auf manchen Abschnitten gibt es Alternativrouten, die ebenso als Panamericana bezeichnet werden. Die Straßenqualität ist in den einzelnen Ländern unterschiedlich, oftmals ist sie jedoch als Highway ausgebaut – genau die Art von Straße, die man als Fahrradfahrer nun definitiv nicht bevorzugt. Und in Panama war sie auch genau dies, ein Highway. Warum zum Teufel waren wir also genau da unterwegs? Ganz einfach, weil es in Panama meistens keine Alternative zu ihr gab. Das langgestreckte Land verfügt über kein stark verzweigtes Netzwerk von Straßen. Stattdessen gibt es die Panamericana, die sich wie eine Art Wirbelsäule der Länge nach durch das Land zieht und von der einzelne Straßen abzweigen, die dann irgendwo als Sackgasse enden. Doch meistens waren wir ziemlich gut dran, denn der Highway war mit zwei Fahrbahnen pro Richtung und zusätzlichem Seitenstreifen (der tatsächlich auch befahrbar war) gut ausgebaut und der Verkehr auch nicht zu krass.

Etwas weiter östlich konnten wir dann jedoch mal für zwei Tagesetappen auf die Landstraße 5 ausweichen – eine ziemlich schmale weniger befahrene Straße, die sich durch die saftig grüne Landschaft schlängelte. Und auch wenn die Panamericana meist nicht ganz so schlimm zu ertragen war, wie ich es von anderen Radreisenden schon berichtet bekommen hatte, die Ruhe und Abgeschiedenheit auf dieser kleinen Landstraße war schon eher das, was ich mir zum gemütlichen Radreisen vorstelle.

Aber für einen Unfall braucht es weder einen Highway noch eine Landstraße oder gar hohe Geschwindigkeiten. Wir radelten gerade durch eine Kleinstadt auf der Suche nach einem Bäcker, als ein Taxifahrer langsam links an mir vorbeifuhr und auf meiner Höhe einfach nach rechts abbog. Ich ging voll in die Bremsen, doch es war zu spät – der Taxifahrer hatte mich schon an der linken, vorderen Tasche erwischt und zu Fall gebracht. Wie bei einem Wunder passierte mir exakt nichts. Das Rad lag da, ich war irgendwie Stuntman-mäßig über den Lenker abgestiegen und hatte nur ein paar leichte Schrammen und Schmerzen, die weniger intensiv als eine Prellung waren. Das Rad schien unversehrt, nur das den Rucksack schützende Regencover hatte ein Loch. Um uns herum standen zahlreiche Menschen, die den Unfall beobachtet hatten, inklusive François, der direkt hinter mir war. Und auch die Sachlage war klar – der Taxifahrer hatte die Schuld, etwas geknickt sagte er „mein Fahrgast meinte, er könne gleich hier herausgelassen werden – da fuhr ich einfach rechts rein ohne zu gucken“. Für das Loch in dem Regencover verlangte ich zehn Dollar, die mir der Taxifahrer ohne Diskussion überreichte. Danach rollten wir weiter zu einer Bäckerei und ich versuchte mit einem Kaffee und etwas Süßem wieder runterzukommen. Die gelben Autos waren mir von da an noch etwas suspekter als schon zuvor.

Unangenehm wurde es auch nochmal auf unserem letzten Stück auf der Panamericana ab La Chorrera bis nach Panama Stadt, die finalen 13 Kilometer vor und über den Panama-Kanal waren genau genommen ein Abschnitt direkt aus der Hölle. Man kann es sich in etwa so vorstellen wie ein übermäßig stark befahrenes und dank Baustellen extrem chaotisches Autobahnkreuz ohne Seitenstreifen, wobei jeder Verkehrsteilnehmer an einem Rennen teilnimmt. Aber wir haben es glücklicherweise unfallfrei überlebt, wenn mir auch vermutlich ein paar Haare mehr auf diesen 13 Kilometern ausgefallen sind.

Auf dem Weg nach Portobello

Im Südosten Panamas beginnt der Darién-Dschungel, der sich bis nach Kolumbien hineinzieht und die Landbrücke zwischen Nord- und Südamerika bildet. Es ist eine der unzugänglichsten Regionen der Welt, es gibt weder eine Straße noch einen buckeligen Fahrweg, der die beiden Kontinente miteinander verbindet – die Panamericana endet einfach als Sackgasse in dem panamaischen Ort Yaviza und beginnt erst in der kolumbianischen Stadt Turbo wieder. Durch die Unzugänglichkeit gibt es im Darién-Dschungel auch niemanden, der das Recht durchsetzt, dafür ist die Kriminalität aufgrund des Drogenschmuggels extrem hoch. Zusätzlich versuchen jedes Jahr tausende Menschen, hauptsächlich aus Venezuela und Haiti, durch den Dschungel nach Norden in Richtung USA zu flüchten. Sich durch diesen berüchtigten Dschungel irgendwie nach Kolumbien durchzuschlagen, war also definitiv keine Option für mich. Von Panama Stadt aus radelte ich deshalb zunächst entlang des Panama-Kanals und folgte anschließend der Landstraße 3 nach Sabanitas, von da weiter über eine kleine, kaum befahrene Straße nach Portobello und schließlich bis in den kleinen Hafen von Puerto Lindo. Auf dem Wasserweg wollte ich von da aus weiter nach Kolumbien. Die Strecke war malerisch, überall gab es dichtes Grün und je näher ich meinem Ziel kam, desto weniger Verkehr gab es. Aber so schön die Umgebung auch war, mein Kopf ließ mich das Ganze nicht so richtig genießen. Ein Steinwurf von Sabanitas entfernt befand sich die Großstadt Colón – der Kriminalitätshotspot Panamas. Ich hatte ein paar Bedenken, ob die berüchtigten Kriminellen nicht vielleicht auch mal einen Ausflug in die Umgebung unternehmen würden. Auch wusste ich, dass vor ein paar Jahren ein Radreisender auf dem Abschnitt zwischen Sabanitas und Portobello überfallen und verprügelt wurde. Mit dem dick bepackten Reiserad und meiner Gringo-Optik war ich nun alles andere als unauffällig unterwegs, zudem hatte ich auch noch mehrere hundert Dollar an Bargeld dabei, da sich das Boot nach Kolumbien nur bar bezahlen ließ. Aber letztendlich passierte nichts – hoch über der Straße hangelten Affen herum, die Vögel zwitscherten und die Sonne wechselte sich mit kurzen Regenschauern ab.

Bienvenido a Panamá!

Wie schon zuvor in Costa Rica regnete es auch in Panama immer nachmittags und oftmals auch in der Nacht in tropischen Ausmaßen. Wir mussten uns also jeden Tag auf die Suche nach einem schützenden Dach begeben, um nicht mit der kompletten Ausrüstung baden zu gehen. Doch diese kleine Herausforderung gestaltete sich dank der großartigen Gastfreundschaft der Panamaer als nicht ganz so schwierig. Im Gegensatz zu Costa Rica waren hier die Bomberos wieder die besten Freunde der Radreisenden. Immer wenn wir an einer Feuerwache auftauchten, dauerte es nicht lange, bis wir einen Schlafplatz hatten. Dazu gab es den ein oder anderen netten Plausch mit den Feuerwehrkräften und manchmal sogar noch eine Einladung auf einen Kaffee oder zum Essen – ich war jedes Mal über die Aufgeschlossenheit, die Gastfreundschaft sowie das uns entgegengebrachte Vertrauen fasziniert. Nur einmal klappte es bei den Bomberos nicht – der Kommandant war bereits zu Hause und konnte nicht mehr um Erlaubnis gefragt werden. Als wir dann die Polizei fragten, wo wir einen sicheren und trockenen Ort zum Kampieren finden würden, fand sie einfach weiter statt – die Magie der panamaischen Gastfreundschaft: Mit Polizeieskorte ging es zu einem Rugby-Stadion, in dem wir unsere Zelte aufstellen durften. Unter den Zuschauerrängen gab es nicht nur Umkleiden und Sanitäranlagen, sondern auch zu Schlafsälen hergerichtete Räume, die zu dem Zeitpunkt von der Polizei belegt waren. Im Stadion trainierten Polizisten Rugby, vor dem Stadion spielten andere Polizisten Fußball. Ich war gerade am Kaffee-Kochen, als wir jeweils eine Portion Abendessen gereicht bekamen; am nächsten Morgen durften wir erst nachdem uns das Frühstück gereicht wurde fahren.

Doch nicht nur die offiziellen Stellen waren uns wohlgesonnen. An einem komplett verregneten Tag waren wir bereits am Vormittag auf dem Weg in ein Hostel und hielten vorher noch an einer Bäckerei, um uns etwas Gutes zu tun. Da tauchte auf einmal Guillermo auf, völlig fasziniert von den bepackten Reiserädern, jede Menge Fragen stellend. Es ging alles super schnell und ich verstand in der Hektik auch nur die Hälfte – François spricht jedoch fließend Spanisch und so erfuhr ich dann, dass wir von Guillermo eingeladen waren, bei ihm und seiner Frau Tiara den Regentag auszusitzen. Die beiden bewirteten uns herzlichst, es gab Kaffee, Bier, Snacks und auch noch ein Sonntagsessen zur Ehre der Gäste. Außerdem erfuhren wir allerhand über Panama, was nicht unbedingt im Wikipedia-Artikel steht.

Das alles mag aus der Perspektive eines in Deutschland sozialisierten Menschen verrückt und surreal klingen, aber genau so ist es passiert. Ein herzliches Dankeschön an Guillermo, Tiara, die Bomberos und die Polizei – danke, Panama!

Die Metropole am Panamakanal

Angekommen in der Panama-Stadt, steuerten wir das Mamallena Hostel an und trafen auf alte Bekannte: Rhian und Chris, mit denen ich schon ein paar Wochen zuvor unterwegs war; auch François hatte die beiden bereits zuvor getroffen. Ein schönes Wiedersehen unter Gleichgesinnten mit vielen Geschichten vom Radelalltag. Abends witzelten wir immer darüber, wie wir tagsüber unser Geld in den Straßen Panamas verbrannten, denn genau das hat jeder von uns da gemacht. Als moderne Großstadt hatte Panama nämlich genau das zu bieten, was wir nach unserer Zeit in Zentralamerika dringend brauchten: Alle möglichen Gewerbe, um kaputt gegangene Dinge zu reparieren, auszutauschen oder für Verlorenes Ersatz zu beschaffen. Außerdem waren wir alle auf der Jagd nach Verpackungsmaterial für unsere Fahrräder, wenn wir auch auf unterschiedlichen Wegen nach Kolumbien weiter wollten. Rhian und Chris machten sich als Erstes auf, um von Puerto Cartí aus mit mehreren kleinen Booten (sogenannten Lanchas) nach Kolumbien überzusetzen. François folgte ihnen ein paar Tage später auf einer ähnlichen Route. Ich blieb am längsten und radelte dann nach Puerto Lindo, um von da aus mit einem Segelboot auf den südamerikanischen Kontinent zu gelangen. Interessanterweise nutzte keiner von uns die finanziell erschwinglichste, schnellste sowie komfortabelste Variante – den Flieger.

Doch Panama Stadt bot natürlich noch mehr als nur Einkaufsmöglichkeiten. Die Stadt hatte etwas – die Metropole wirkte interessant, wenn auch viele Ecken nun nicht gerade wunderschön waren. Doch da, wo sich die Kontraste aneinander reiben, gibt es nun mal viel zu beobachten. Architektonisch auffällig war die koloniale Altstadt, das dazu völlig gegensätzliche moderne Finanzviertel mit seinen riesigen Wolkenkatzern bei denen die Glasfassaden um die Wette glitzerten, sowie die unzähligen Gebäude im Stil der 70er Jahre. Von der für die Touristen hergerichteten Altstadt war es nur ein Katzensprung in die Viertel der Armen, wo man schon allein von den Häuserfassaden auf die Abwesenheit des Geldes schließen konnte. In den Vierteln der Mittelschicht sah die Bausubstanz wiederum besser aus, es wirkte ordentlicher, aber trotzdem nicht wie durch entwickelte Stadtteile mit einheitlichen Bürgersteigen oder ähnlichem. So etwas gab es dann wiederum in den schicken Vierteln oder an der modern hergerichteten Pazifikpromenade mit dem sich an ihr entlang ziehenden Park. Doch nicht nur die Stadtteile sind äußerst divers, sondern auch deren Bewohner. Kein Wunder, denn in der Hauptstadt wohnen die Nachfahren aller möglicher Einwanderer-Gruppen und davon gibt es aufgrund der bewegenden Geschichte Panamas so einige.

Stadtrundgang durch Panama.

Einen ganz guten ersten Überblick über die Geschichte des Landes bekam ich im Panamakanal-Museum. Schon die Spanier erkannten in der Kolonialzeit die strategische Bedeutung der Landbrücke zwischen den Kontinenten, die wiederum in Panama am schmalsten zwischen Pazifik und dem Karibischen Meer ist. Vom heutigen Panama Stadt aus errichteten sie eine erste Straße nach Portobello, um die aus Peru über den Seeweg herangebrachte Plünderware über eben diesen kurzen Landweg auf die Atlantikseite zu transportieren. Von da aus wurde sie anschließend nach Europa verschifft.

Nach der Unabhängigkeit von Spanien schloss sich Panama dem damaligen Großkolumbien an. Im 19. Jahrhundert bekam eine französische Gesellschaft von der kolumbianischen Regierung die Konzession, einen Kanal zu errichten, worauf die Arbeiten 1881 unter der Leitung von Ferdinand de Lesseps begannen. Doch die Unternehmung endete acht Jahre später mit einem riesigen finanziellen Desaster und über 20.000 Toten. Die Toten waren nur zum  Teil Franzosen, die meisten Arbeitskräfte waren afrikanisch-karibischer Abstammung und wurden von den französischen Antillen nach Panama geholt. Erdrutsche, der viele Regen und Tropenkrankheiten wie Gelbfieber oder Malaria waren nur einige Gründe des Scheiterns.

Im Panamakanal-Museum.

Die Vereinigten Staaten von Amerika hatten schon ein Projekt am Laufen, um einen Kanal durch Nicaragua zu bauen, aber auch das wurde nichts; durch ein Abkommen mit England waren sie zunächst gehindert, einen Kanal direkt in Panama zu errichten. Doch Präsident Theodore Roosevelt ließ seinen Einfluss gewaltig spielen, um das gescheiterte französische Projekt unter US-Kontrolle zu bringen. Als die kolumbianische Regierung nicht mitspielen wollte, unterstützten die USA unter ihm die Unabhängigkeitsbewegung Panamas, welches sich so 1903 von Großkolumbien lossagte. Die US kaufte unter Roosevelt die sogenannte Kanalzone (15 Kilometer rechts und links des Kanals) von der neu installierten panamaischen Regierung und nahm in den folgenden Jahren die Konstruktion des Kanals wieder auf. Doch auch unter der US-Regie gab es unzählige Fehlschläge und Probleme, sodass der Panamakanal letztendlich erst 1914 fertiggestellt wurde.

Mitten durch Panama verlief also ein circa 30 Kilometer breiter Streifen unter Kontrolle der USA. Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchsen die Spannungen zwischen den USA und Panama, die Panamaer beanspruchten das Land und den Kanal für sich, nach Studentenprotesten riegelten die USA die Zone mit einem Zaun und erhöhter Militärpräsenz ab. Die Situation schaukelte sich immer weiter hoch und entspannte sich erst 1977 unter US-Präsident Jimmy Carter, als dieser Verträge unterzeichnete zur schrittweisen Überführung des Kanals sowie der Kanalzone an Panama.[1] Damit ist die Republik Panama seit dem 1. Januar 2000 rechtmäßig im Besitz des Panamakanals und hat seit dem auch die absolute rechtliche Kontrolle über den Kanal – ein Fakt den man ja aktuell tatsächlich hervorheben muss.

Der Panamakanal wurde mittlerweile in seiner Größe erweitert und beschert dem kleinen Land ein ordentliches Einkommen. Selbst Touristen, die sich die Schleusen des Kanals einfach nur mal aus der Nähe anschauen wollen, werden ordentlich gemolken – da ich eh schon genug Dollars „verbrannt hatte“, verzichtete ich und beließ es darauf völlig unspektakulär nur ein paar Kilometer entlang der Wasserstraße auf dem Weg in Richtung Puerto Lindo zu radeln. Einen letzten Stopp legte ich dann noch in Portobello ein – dem Ort, wo einst das aus Peru ausgeführte Gold und Silber auf die spanischen Schiffe verladen wurde. Übrig geblieben sind aus dieser Zeit noch ein paar Festungsanlagen sowie das Zollgebäude, in dem die Waren abgefertigt wurden.


Reisezeit: Juni 2024

  1. Quellen für diesen groben geschichtlichen Abriss und sehr zu empfehlen sind die Podcast-Episode 196 von Geschichten aus der Geschichte „Wie der Panamakanal entstand“; ein Besuch im Panamakanal-Museum sowie die Lektüre des Wikipedia-Artikels „History of the Panama Canal“.[]

Kommentare

2 Antworten zu „Sackgasse Panamericana?“

  1. Benutzer Icon
    Andreas

    Lieber Binni,
    ich war vorgestern in Kairo und bei deiner Beschreibung der PanAmerica und deiner wilden 13km fühlte ich mich stark an den Verkehr in Kairo erinnert.
    Habe wieder viel gelernt und deinen Bericht sehr genossen.
    Liebe Grüße
    Andreas

    1. Benutzer Icon

      Kairo? Das klingt aber nach ner sehr sehr weiten Klassenfahrt 😀

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