Mit dem Segelboot nach Kolumbien

Morgens im Paradies.

Als ich aufwache, schaukelt es ganz leicht um mich herum. Durch eine offene Luke höre ich das seichte Schwappen von Wasser. Der in der Luft liegende Kaffeeduft treibt mich aus der Koje raus an Deck. Der Ausblick, der mich draußen erwartet, ist absolut surreal. Wir ankern vor einer winzig kleinen Insel, auf der nur ein paar Palmen und ein, zwei, drei primitive Hütten stehen. Auf der Veranda der Hütte uns direkt gegenüber entspannen die Bewohner. Die Insel ist so schmal, dass man durch die Palmen hindurch schon wieder das Meer auf der anderen Seite und in der Ferne weitere kleine Inseln sehen kann. Träume ich nur oder bin ich tatsächlich in dieser völlig anderen Welt aufgewacht?

Stretch it Baby!

Über den Landweg gibt es keine legale und sichere Möglichkeit, um von Panama nach Kolumbien zu gelangen. Der Darién-Dschungel auf der Landbrücke zwischen Nord- und Südamerika ist eines der unzugänglichsten Gebiete der Welt. Schon verrückt, wenn man bedenkt, dass es die Stelle ist, die zwei Kontinente miteinander verbindet. Aber weltpolitisch gesehen wird sich daran nichts ändern, der Norden scheint mit dieser Situation ganz glücklich zu sein. Für Reisende gibt es im Wesentlichen drei Optionen, um das Darién-Gap herumzukommen. Die kostengünstigste Option ist der Flieger und gleichzeitig die ökologisch schlechteste. Vom panamaischen Cartí aus verlassen aber auch kleine Boote, sogenannte Lanchas, das Festland und steuern dann verschiedene Inseln aus der Gruppe der San-Blas-Inseln an. Diese Inselgruppe gehört zu Panama, steht aber unter der Selbstverwaltung der dort lebenden Guna Yala. Mit drei bis fünf Booten kann man über diese Inselgruppe schließlich bis Necoclí in Kolumbien gelangen. Vermutlich ist dies die abenteuerlichste Art der Umschiffung des Darién-Gaps, da viel mit den verschiedenen Kapitänen gesprochen werden muss und man vorher nicht ganz genau weiß, wann man denn nun eigentlich ankommt. Ich hatte lediglich wegen meines Fahrrads ein ungutes Gefühl bei dieser Option, da die Lanchas wohl hin und wieder auch ganz schön stark auf die Wellen aufschlagen und bei anderen Radreisenden wohl auch schon etwas an den Rädern kaputtgegangen ist.

Die dritte Option ist es, auf einem Segelboot mitzufahren. Die Route Puerto Lindo – Cartagena wird regelmäßig von Segelbooten gefahren, die es sich zum Geschäft gemacht haben, Reisende von Nord- nach Südamerika zu bringen oder umgekehrt. Das Ganze dazu noch kombiniert mit ein paar Tagen gemütlichen Inselhoppings durch die San-Blas-Inseln. Genau das war letztendlich meine Variante der Wahl. Und auch wenn ich sonst eher der Fan von selbst organisierten, unabhängigen Abenteuern bin – der Segeltrip war eine tolle Abwechslung zu meinem Radreise-Lifestyle, und er war jeden einzelnen Dollar wert.

Ich kam schon vormittags in der Marina von Puerto Lindo an. Da das Boot erst am Abend ablegen sollte, war noch mehr als genug Zeit, um das Tier seetauglich zu machen. Ich demontierte die Pedalen, drehte den Lenker um 90 Grad und nahm noch ein paar der kleinen Taschen ab. Aus Panama Stadt hatte ich mir eine große Rolle Stretchfolie mitgebracht. So ganz allein war es zwar nicht das einfachste Unterfangen, doch nach einer ganzen Weile war das Rad in einen mehrere Lagen dicken Mantel aus Stretchfolie eingewickelt. Kritische Stellen sicherte ich zusätzlich noch mit Gaffa-Tape. Das Ergebnis war ein ziemlich steifes „Fahrrad-Paket“, bei dem ich hoffte, dass es bis Cartagena wasserdicht bleiben würde. Die Crew platzierte das Rad letztlich recht ikonisch neben dem Mast und taute es daran fest. Einen besseren Platz konnte ich mir für das Tier nicht wünschen.

Es gibt immer einen schrägen Vogel

Irgendwann am Nachmittag kamen meine elf Mitreisenden mit einem Minibus in der Marina an. Sie wurden allesamt in Panama Stadt eingesammelt – dem Ort, den ich schon vor ein paar Tagen verlassen hatte. Eine bunte Mischung westlicher Touristen – Europäer, Australier, Kiwis, US-Amerikaner; vier Pärchen und drei allein Reisende. Bis auf ein junges Pärchen waren sie nicht nur für einen kurzen Urlaub unterwegs, sondern mehr oder weniger Backpacker-mäßig am Reisen. Und wenn es in jedem Hostel immer einen schrägen, irgendwie herausstechenden Vogel gibt, so war das in unserer Reisegruppe vermutlich diesmal ich – der Typ mit dem Fahrrad und gefühlt schon ewig am Reisen.

Nach einem ersten kurzen Briefing an Board der La Gitanita hatten wir noch Zeit, um uns die Mägen ein letztes Mal am Festland vollzuschlagen. Wir aßen im kleinen Restaurant der Marina und stießen das erste Mal gemeinsam an, während die Crew das Gepäck verstaute, unsere Reisepässe zum Ausstempeln nach Puerto Bello brachte und die letzten Vorbereitungen traf.

Die Crew bestand aus Kapitän César, Steuermann Ed und Bootsmann Memo – ein super eingespieltes, sehr sympathisches Team. Ich fühlte mich in ihren Händen absolut sicher und bestens versorgt. Und auch wenn es ihr tägliches Brot ist, Touristen zwischen den zwei Ländern hin und her zu segeln, so wirkte die Freundlichkeit nie gespielt. Allesamt waren äußerst authentisch, und ich hatte nicht das Gefühl, Teil eines endlos oft wiederholten Theaterstücks zu sein.

Die Sonne war schon längst untergegangen, als wir gegen 10 Uhr Abends ablegten, wenn auch nicht unter Segeln, sondern mit dem dumpf vor sich hin brummenden Diesel. Die dunklen Silhouetten der in der Bucht ankernden Boote und die Konturen der Hügel des Festlandes zur rechten, der kleinen Inseln zur linken zogen langsam an uns vorbei, bis wir später die etwas offenere See erreichten. Ich legte mich irgendwann schlafen, um dann am nächsten Morgen zum Duft von Kaffee im absoluten Paradies wieder aufzuwachen.

Segel setzen, das Meer ruft!

Einmal mit einem Segelboot einen Meeresabschnitt zu überqueren, stand schon lange auf meiner Wunschliste – mit dem Trip von Panama nach Kolumbien ging dies nun endlich in Erfüllung. Das Segeln kannte ich zuvor nur aus Videos und einem kurzen Törn auf dem Cospudener See bei Leipzig. Doch jetzt war ich für sechs Tage an Board der La Gitanita und konnte einmal einen ausgiebigeren Eindruck vom Leben auf See bekommen, wenn auch nur als Gast und bei äußerst milden Bedingungen in der Karibik.

Mit dem Wetter hatten wir nämlich ziemlich viel Glück. Die See war sehr ruhig, fast schon zu ruhig. Oftmals lief der Motor, da es an ausreichend Wind mangelte, um den Zeitplan der Crew einzuhalten. Lediglich während des Inselhoppings gab es einmal perfekte Bedingungen, um nur unter Segeln zu fahren. Und das war schon ein ziemlich tolles Gefühl, als sich das Boot leicht schräg legte und mit einiger Geschwindigkeit, lediglich angetrieben vom Wind, durch die Wellen glitt. Der Platz an Deck war durch die ausgerollten Segel geringer und ich musste mich gut festhalten, um auf dem Weg in Richtung Bug nicht über Board zu gehen. Für die finale Passage auf offener See in Richtung Kolumbien musste wieder der Motor ran, als Unterstützung zum teilweise aufgespannten Großsegel. Aber vielleicht war das auch ganz gut, denn nicht allzu weit von uns entfernt rollte ein Tropensturm herein, dem wir aber letztendlich noch rechtzeitig entkamen.

Bei dem Boot handelte es sich um eine rund 16 Meter lange und 4 Meter breite Monohull von Dufour. Im Inneren befanden sich insgesamt fünf Kabinen, jeweils mit eigenem Bad. Dazu gab es einen Salon mit kleiner Küche, in der das äußerst leckere Essen zubereitet wurde. Die Crew teilte sich zum Schlafen den Salon und die Bänke außen im Cockpit.

Von Insel zu Insel

Zu den San-Blas-Inseln werden rund 365 Inseln gezählt. Während der drei Tage, die wir in der Inselgruppe verbrachten, setzte ich auf sechs der Inseln meinen Fuß, unzählige weitere sah ich aus sehr kurzer Distanz. Immer waren es sehr flache Inseln mit feinen hellen Sandständen, dominiert von Kokospalmen und etwas grünem Gestrüpp unterhalb der Palmen. Oftmals waren die Inseln so klein, dass man sie locker in unter einer halben Stunde spazierend umrunden konnte. Direkt vor den Inseln befanden sich meist Korallenriffe, deren Farben mit den darin lebenden Fischen um die Wette leuchteten. Das Wasser hatte Badewannentemperatur, die Wellen schwappten nur leicht vor sich hin. Und was die Besiedlung anging, so war diese eher spärlich. Zwar standen auf allen von mir besuchten Inseln ein paar einfache Bretterhütten herum, doch nur manche davon waren aktuell bewohnt. Kleinere Nachbarinseln waren meist komplett unbewohnt – dichte Besiedlung sieht anders aus. Immer dann, wenn ich mal auf der von unserer Ankerstelle abgewandten Seite einer Insel unterwegs war, war ich komplett allein – es hätte wirklich nur noch der Auftritt von Freitag gefehlt, um mitten in einer Szene von Robinson Crusoe zu sein. Kurzum war es genau das, was man sich unter einem karibischen Paradies vorstellt.

Die Crew tat ihr Bestes, damit wir dieses Paradies auch so richtig genießen konnten. Dreimal täglich gab es leckere Mahlzeiten, wobei es selbst zum Frühstück immer Abwechslung gab. Als kulinarischen Höhepunkt grillte Kapitän César für uns am letzten Tag vor der großen Seepassage Hummer und Krabben, zum Abendessen gab es dann noch Fisch in einem lokalen kleinen Inselrestaurant. Hatten wir Kaffeedurst, genügte nur eine nette Frage. Wollte ich vom Boot mit der Kamera an Land, wurde ich jederzeit mit dem Beiboot hinübergefahren; zum Schnorcheln gab es Ausrüstung zum Ausleihen und auch ein Standup-Paddelboard stand zur Verfügung, um sich die Freizeit zu vertreiben.

An unserer ersten Ankerstelle verbrachten wir über einen ganzen Tag. Und damit konnten wir auch über einen ganzen Tag die Bewohner der Insel direkt uns gegenüber beobachten. Je länger ich dazu Zeit hatte, desto mehr fragte ich mich, wie anders doch deren Leben ist. Auf den Inseln wächst schlichtweg nichts anderes Verwertbares als Kokospalmen. Natürlich ist da noch das Meer, welches von den Guna Yala befischt wird – ab und zu kamen kleinere Boote mit ein paar Männern, die ihren Fang verkaufen wollten. Zweimal waren sie erfolgreich – einmal war es Fisch für unser Mittagessen, ein anderes Mal die Krabben und Hummer. Zu einem anderen Zeitpunkt kamen ein paar ältere Frauen in einem Einbaum angepaddelt und versuchten selbst gemachten, traditionellen Schmuck zu verkaufen. Irgendwann kamen auch einige junge, kichernde Frauen angefahren, mit einem Plastikbeutel voller Handys, die Crew bittend, ob sie diese nicht für sie aufladen könnten. Denn Steckdosen gab es auf den Inseln nicht, nur einmal sah ich irgendwo ein kleines Solarpanel. Dafür fehlte es aber an den Stränden nicht an angespültem Plastikmüll. Und vielleicht auch nicht an von den Inselbewohnern produziertem Müll – um verlassene Hütten herum, sah es oft etwas verwahrloster aus, mit herumliegenden kaputten Plastikmöbeln, Spielzeug und anderem Zivilisationsmüll. Für die Inseln gibt es schließlich keine organisierte Müllabfuhr. Ich vermute, dass stattdessen öfter mal ein Feuerchen lodert.

Für mich war es ein kleines Paradies, weil ich von morgens bis abends gepampert wurde, die La Gitanita wunderbar ausgestattet und mit lauter tollen Produkten vom Festland vollgestopft war und wir auch irgendwann weiter fuhren. Für die Inselbewohner ist es das alltägliche Leben in einer entbehrungsreichen, abgeschiedenen Umgebung. Keine Ahnung, wie die das in ihren Bretterhütten machen, wenn mal ein kräftiger Tropensturm durchzieht.

Kein Festland in Sicht

Am Morgen nach der vierten Nacht an Board war kein Land mehr in Sicht. Seit dem vorhergehenden Abend befanden wir uns nun schon auf der finalen Passage nach Kolumbien. Es schaukelte etwas mehr als während des Inselhoppings aber trotzdem war es eine recht ruhige See und gut auszuhalten. Wir wurden an diesem Tag mit besonders leicht verdaulicher Kost versorgt, die Crew wollte vermutlich aus Erfahrung unsere Mägen nicht zusätzlich strapazieren. Es war ein sehr entspannender Tag, mit viel Ruhe und der Möglichkeit, ewig in die Weite des Meeres zu schauen.

Und auch wenn es auf den ersten Blick langweilig scheint, den ganzen Tag nur aufs Meer zu starren, mit einem in allen Richtungen gleich aussehendem Horizont – es gab schon einiges zu beobachten. So zogen zum Beispiel am Morgen zwei mächtige Albatrosse ihre Kreise über uns. Zu einem anderen Zeitpunkt zuckte es an der Angel, sodass César und Ed alle Aufmerksamkeit beim Einholen des Fangs auf sich hatten. Der Höhepunkt war aber mit Sicherheit, als sich plötzlich einige Delfine zu uns gesellten und für einige Zeit parallel links und rechts vom Bug mit uns schwammen. Es war wirklich genau so, wie ich es schon zuvor in einigen Filmen gesehen hatte, nur dass diesmal bei mir das Adrenalin nach oben schnellte.

Zum Sonnenaufgang in Cartagena

Es ist der letzte Tag. Ich werde schon früh wach und begebe mich an Deck. Es dämmert. Vor uns liegen die ersten Lichter von Cartagena. Wenig später laufen wir in den Hafen ein. Erst geht es eine ganze Zeit vorbei an Industriegebieten und dem Frachthafen, dann an mit modernen Hochhäusern bebauten Stadtvierteln und schließlich hinein in den Jachthafen. Über der Stadt geht die Sonne auf und taucht den Himmel in ein orange-rotes Licht. Was für eine stimmungsvolle Ankunft in Kolumbien. Ich bin aufgeregt und voller Freude. Gleich werde ich meinen Fuß auf einen neuen Kontinent setzen, den vierten seit Reisebeginn. Einen Kontinent, den ich von hier ganz im Norden bis nach Ushuaia, ganz im  Süden, mit dem Fahrrad durchqueren möchte. Den Kontinent, in dem ich für eine Weile leben möchte, denn ich radle mittlerweile nicht mehr nur nach Ushuaia, sondern auch nach Santiago de Chile – die Stadt, in der ich für eine gewisse Zeit wohnen und arbeiten werde. Ja, ich habe bereits einen Job angenommen.

Während wir im Hafen liegen und unser letztes gemeinsames Frühstück einnehmen, ist César mit unseren Pässen bei der Migration. Als er zurückkommt, stellt einer von uns fest, dass die Pässe genau einen Monat zu früh gestempelt sind, auf den 4. Juni statt den 4. Juli. Ich bin der Einzige von uns, der etwas länger im Land bleiben will und auch noch nicht exakt weiß, wie lange – damit wäre jetzt schon ein Drittel meines Touristenvisums herum. Also sammelt César wieder alle Pässe ein und geht nochmal zur Migration. Wir werden uns alle am Abend nochmal in einer Pizzeria treffen, für ein letztes gemeinsames Essen und um unsere Pässe zurückzubekommen. Als ich das Tier direkt auf dem Steg neben dem Boot aus seiner Stretchfolie schäle, finde ich den mühsam in Zentralamerika gesammelten Pistenstaub absolut trocken an allen Ecken des Rads vor – die Verpackung hat standgehalten, mein Reisegefährte hat es völlig trocken und unbeschadet auf Kontinent Nummer vier geschafft.

Ein Jahr ist dieses kleine Luxus-Erlebnis nun schon her. Ein Jahr bin ich jetzt schon in Südamerika. Es wird Zeit, die ganzen Geschichten zu erzählen, die hier so alles passiert sind.


Reisezeit: Juni/Juli 2024


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