6 Wochen Winterschlaf?

Mein Winterdomizil – letztes Haus im Tal.

Schon bei der Abfahrt im Sommer war klar, Griechenland oder die Türkei sollten das erste Winterversteck für die Radreise werden. Mit der Zeit formte sich dann der Gedanke im Winter auch mal eine kleine Pause vom Radeln einzulegen. In Neuseeland hatte ich damals bereits für Kost und Logis auf zwei Farmen ausgeholfen und auf die gleiche Art und Weise den Winter in einem Hostel verbracht. Das waren damals definitiv mit die besten Zeiten der ganzen Reise, warum nicht also wieder etwas ähnliches machen?

Die aktuell hippe Plattform im Netz dafür ist Workaway. Diese Seite ist eine Art Marktplatz für Gastgeber und Freiwillige. Als die Zeit gekommen war, durchforstete ich sämtliche Profile der Hilfe suchenden Gastgeber in Griechenland und kontaktierte ein paar davon. In der Nähe von Athen gab es mit David und dem Helios ECO Lab ein Match. Nach ein paar Mails und einem Telefonat vereinbarten wir einen Zeitraum und ich war sehr gespannt, was genau mich erwarten würde.

Es war ein recht grauer und ziemlich stürmischer sowie äußerst frischer Tag, als es von Athen in ein kleines Tal in der Nähe von Kouvaras ging. Kurz vor Schluss waren einige Höhenmeter zu bewältigen – der Wind blies ausnahmsweise mal von hinten und dies so stark, dass es tatsächlich ein Kinderspiel war mit dem schwer beladenen Tier den Berg zu erklimmen. Je weiter es das Tal hinauf ging, um so mehr grübelte ich ob es nun dieses oder jenes Haus da hinten in der Ferne ist. Ich war gespannt wie ein kleines Kind vor der Bescherung, schließlich wollte ich mindestens fünf Wochen an diesem Ort bleiben. Wie genau durfte ich mir David vorstellen? Wer würde da noch vor Ort sein? Was würden meine Aufgaben sein? Wie genau sähe meine Unterkunft aus?

Als der Berg erklommen war, ging es nochmal links ab in ein anderes Tal, ganz hinter bis zum letzten Haus. Und da war es nun, das Helios ECO Lab. Ich parkte das Tier, suchte den Eingang, klopfte an und wurde schließlich von David begrüßt. Es ging alles ziemlich schnell: Lucky den großartigen Hund begrüßen; Fotos mit dem beladenen Tier knipsen; abladen und das Gepäck in mein Zimmer mit eigenem Bad sowie zusätzlichem Abstellraum bringen; mich mit Andreas und Panos als Teil des Helios Teams bekannt machen; Haus- sowie Grundstücksführung; erstes Briefing. Hui war das viel auf einmal. So ganz vollständig kapiert hatte ich noch nicht was alles an diesem Ort passiert. Eins war aber klar: Es war ein Haus voller Nerds. Und ich war hier genau richtig!

Das Helios ECO Lab

Nach den ersten paar Tagen hatte sich alles gefunden. Es gab einen konkreten Job für mich, ich hatte mich in das Team eingefunden, die Umgebung etwas erkundet, mich auf die Speise-Rituale eingestellt, das ganze Projekt Helios ECO Lab etwas besser verstanden.

Doch was ist dieses Lab denn nun eigentlich? Es ist das Baby von David. Er ist Designer und für mich wirkte es so, als ob er sich damit seinen Traum erfüllt hat. Er hat auf seinen Grundstück eine Art kreativen Experimental-Raum geschaffen, in dem die verschiedensten Dinge ausgetüftelt, gebaut und probiert werden. Hauptthema ist dabei Solar-Energie und deren Förderung in der breiten Gesellschaft. Dazu werden im ECO Lab beispielsweise neue Akkus aus recycelten Zellen verschiedenster Größen zusammengesetzt, kaputte Akkus repariert, diverse Solar-Lader für den Feldeinsatz konzipiert, alte Fahrräder in E-Bikes umgewandelt, Wallboxen für das Laden von Elektroautos und E-Bikes gebaut und und und. Alles aufzuzählen scheint mir unmöglich. Zumal es ständig neue Ideen gibt, die einfach ausprobiert werden.

Man muss dazu ergänzen, dass David Off-Grid lebt, also ohne Anbindung an das öffentliche Stromnetz oder das Internet. Das Haus und einige Unterstände sind gespickt mit Solarpanelen, die eine große Batterie im Haus laden oder je nach Bedarf direkt Strom an die Verbraucher abgeben. Daneben gibt es auch einige Solarthermie-Panele zur Erwärmung des Wassers, einen entsprechenden Speicher dafür und überhaupt ziemlich viele clevere Detail-Lösungen für diverse Probleme, die ein Haus so mit sich bringt. Hatte ich schon die fünf Elektro-Autos erwähnt mit denen ein Sharing-Konzept getestet werden soll?

Als wäre das nicht genug, so experimentiert David auch noch in seinem Garten mit den „Abfällen“ die in einem Haus so anfallen, versorgt seine Hühner mit fragwürdig gewonnenem Lebendfutter, …

Auch wenn die ein oder andere Idee vielleicht ziemlich abstrus und krude klingt, was mich am meisten fasziniert hat: Es wird einfach ausprobiert. David lässt sich nicht darauf ein alles zu Tode zu diskutieren, sondern probiert es einfach.

Eine seiner Ideen ist es ein Ladenetzwerk von Nutzern elektrischer Fahrzeuge für Nutzer elektrischer Fahrzeuge an den Start zu bringen, mit ein paar speziellen Vorteilen. Dafür ist natürlich eine Smartphone-App nötig, an deren Entwicklung ich letztendlich mitgearbeitet habe. Ich verbrachte also einen beträchtlichen Teil der Zeit im Helios ECO Lab hinter dem mir doch recht sympathischen Laptop.

Eine Woche lang galt es aber auch das Haus zu hüten. Also Hund, Kater sowie Hühner füttern, die Elektroautos je nach Sonnenstand laden (es war ja noch Winter), Shuttelservice für einen Angestellten spielen, …

Die Aufgaben waren vielfältig und nie langweilig. Insbesondere bei der App gab es viel kreativen Gestaltungsspielraum.

Off-Grid – ein kleines bisschen wie im Zelt

Auch das Off-Grid Leben war für mich ziemlich interessant. Zwar hatte ich davon schon viel gehört und mit meinem Zelt-Leben der letzten Monate in gewisser Art und Weise auch schon praktiziert, doch das ganze mal für eine längere Zeit in real in einem festen Haus zu erleben war etwas anderes. Gerade im Winter. Ende Januar gab es dann ja auch noch einen für die Region ungewöhnlich harten Wintereinbruch mit „heftigem“ Schnee, was für uns ein paar Tage Abschottung von der Außenwelt bedeutete. Allerdings eher weil die Außenwelt nicht funktionierte – die Off-Grid Situation sorgte dafür, das wir trotzdem Strom hatten. Und es gab ja auch noch einen Kamin.

Ansonsten war je nach Sonnenschein-Dauer mal tagsüber eine Lage mehr anzuziehen oder eine weniger, wenn genug Energie für die Heizung vorhanden war. Bei ausreichend Sonnenschein gab es auch wiederum warmes Wasser, so dass warm geduscht werden konnte – alles so kleine Dinge die im On-Grid Leben eine Selbstverständlichkeit sind. Aber da ich die letzten Wochen ja die meiste Zeit eh in Einklang mit Mutter Natur im Zelt gelebt hatte, war es keine so große Umgewöhnung für mich etwas mehr nach dem jeweils aktuellen Wetterbedingungen zu leben.

Menschen, Menschen, Menschen!

Eine recht angenehme Umgewöhnung war es allerdings mal wieder für einen längeren Zeitraum mit den gleichen Menschen regelmäßig Kontakt zu haben. Ich genoss es mit David, Andreas, Panos und den anderen hin und wieder vorbei schauenden Gästen am Tisch zu sitzen und beim Mittag gemütlich zu plauschen. Oder die zahlreichen Gespräche über die unterschiedlichsten Themen mit David beim Frühstück oder spät Abends am Kaminfeuer. Die Ausflüge mit anderen Bekannten aus dem Dunstkreis des ECO Labs in Restaurants, zu Witzeln, zu Stänkern, über die Projekte im Lab zu diskutieren.

Unvergessen bleiben für mich auch die Kochsessions mit Andreas. Er ist ein Hobby-4-Sterne Koch und weiß definitiv was man in der Küche mit ein paar simplen Zutaten so anfangen kann.
Eines Morgens als ich ihn abholte, erklärte er mir aufgeregt und freudestrahlend, dass an diesem Tag der nationale Fleisch-Ess-Tag sei. Eine für Griechen unglaublich wichtige Tradition. So organisierten wir dann auch ein paar äußerst schmackhafte Würste, welche als Beilage zum Mittag dazu kamen.

Moussakka zubereiten mit Andreas.

Und dann war da ja auch noch Lucky! Lucky ist ein großartiger Hund, der keiner Fliege etwas zu Leide tut (außer eventuell ein paar Kletterer zu verspeisen), immer Unmengen von Energie zum Spielen aufbringen kann, natürlich am liebsten auf der verbotenen Couch schläft und immer wieder um Aufmerksamkeit bettelt. Am gefühlt schlimmsten ist es für ihn, wenn man auch nur ein kleines Fünkchen Aufmerksamkeit BB – dem Kater – zuwendet.

BB (der Name ist eine etwas obszöne englische Abkürzung) ist der Kater des Hauses. Zumindest manchmal, wenn er da ist. Wenn er nicht da ist, lässt er sich gern mal wieder eine Pfote überfahren, organisiert sich ein eitriges Auge oder ähnliches. Dann taucht er irgendwann wieder auf und kommt wie Quasimodo daher gehumpelt und Miaut. Er Miaut ohne Ende, manchmal auch die ganze Nacht. Es ist der einzige Helios-Mitbewohner, der mir des öfteren mal auf die Nerven gegangen ist.

Während meiner letzten Woche im ECO Lab kam noch Eric als weiterer Workawayer dazu. Er ist ein wander- und outdoorbegeisterter Franzose, der vor seinem eigentlichen Wandertrip in Nordgriechenland nochmal was anderes ausprobieren wollte: Workaway. Auch seine Gesellschaft genoss ich sehr.
Kurz vor meiner Abreise kamen dann auch noch Joni und Anton vorbei – ein belgisches Vanlife Päarchen. Sie sind die letzten Wochen durch Thailand geradelt und sammelten nun ihren Van bei David wieder ein. Auch sie hatten zuvor einen Workaway Stop bei David eingelegt.
An diesen zwei Tagen war das Haus echt voll und es fühlte sich wie ein familiäres Hostel an. Großartig!

Und sonst so?

Die sechs Wochen Pause waren aber auch gut, um ein paar Dinge zu organisieren. So konnte ich mir dank tatkräftiger Unterstützung von Andreas, David und der freundlichen Apothekerin endlich in Griechenland Boostern lassen. Und diese dritte Spritze dann auch noch als solche per Zertifikat anerkennen lassen – wer glaubt deutsche Bürokratie sei anstrengend und kompliziert, der lebt in einer absoluten Traumwelt. Weit über einen Monat hat das alles gedauert.

Außerdem konnten Pakete empfangen werden, um die Ausrüstung zu verbessern. Oder um den leckeren Stollen, die Weihnachtsplätzchen und die Räucherkerzen zu erhalten 😀

Aber auch das Tier wurde im Helios ECO Lab mal wieder richtig geputzt und gewartet. Außerdem durfte ich die Werkstatt nutzen, um eine Erweiterung des Gepäckträgers aus Aluminium-Profil zur Befestigung des quer liegenden Rucksacks zu bauen. Damit konnte das in Tschechien per Kabelbinder fixierte Stück Haselnuss nun weichen.

Auch habe ich meine Freizeit genutzt um Bilder zu sortieren sowie nach zu bearbeiten, zu bloggen, zu lesen und die Umgebung zu Fuß wie auch per Rad zu erkunden. Bei zahlreichen Spaziergängen auf den Hausberg war Lucky mit dabei – er war regelrecht begeistert wenn es wieder raus ging.

Dankeschön!

Die sechs Wochen Radelpause waren also kein Winterschlaf. Sie waren aber eine willkommene Pause vom permanenten Weiterziehen. Nicht dass mir dies nicht gefällt – ich liebe ja dieses Reisen. Doch ab und zu ist eine kleine Pause mal ganz gut um ein paar Dinge sich setzen zu lassen, das Erlebte zu verarbeiten und zu verdauen. Und es tat sehr gut mal wieder für längere Zeit in ein und der selben sozialen Gruppe zu sein.

Wenn es sich also wieder ergibt, wird es bestimmt nochmal ein Workaway an einem anderem Ort auf dieser Reise geben.

Für die vielen vielen schönen Stunden, die Möglichkeit im ECO Lab Halt zu machen, die Hilfe bei allerlei Dingen möchte ich mich deshalb riesig bedanken. Zunächst natürlich bei David, jedoch auch bei den anderen – Andreas, Panos, Eric und den ganzen anderen immer mal wieder vorbei schauenden Besuchern. Ευχαριστώ!

An Tag meines Aufbruchs haben die Helionauten übrigens noch ein kleines Abschiedsvideo gedreht – diese könnt ihr euch hier anschauen:


Reisezeit: Januar/Februar 2022


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