Am vierten September bin ich in den Iran eingereist. Am 16. September wurde die 23jährige iranische Frau Jina Amini von der Sittenpolizei in Tehran festgenommen und verstarb durch die brutale Gewalt der Polizei während ihrer Haft. Der Grund ihrer Festnahme war, dass sie ihr Kopftuch „nicht richtig“ getragen hat. In Folge dessen kam es drei Tage später zu ersten Demonstrationen gegen das Regime der Islamischen Republik, die Demonstrationen halten auch heute noch an. Es wird nicht mehr nur gegen den Kopftuchzwang protestiert, sondern gegen das ganze Mullah-Regime. Die Regierung geht mit der Polizei, den Revolutionsgarden, der Basidschi-Miliz und dem Geheimdienst brutal gegen die Demonstranten vor. Es kommt dabei neben extremster körperlicher Gewalt auch zu Erschießungen, Inhaftierungen und mittlerweile auch zu Verurteilungen der inhaftierten Demonstrierenden zur Todesstrafe. Es wurden bereits zahlreiche westliche Touristen festgenommen, auch Fahrradtouristen. Am 13. November bin ich sicher und ohne direkte Zwischenfälle erlebt zu haben aus dem Iran ausgereist und befinde mich nun in der Türkei.
Im folgenden gehe ich auf meine Motivation das Land zu bereisen ein und gebe einen Teil meiner Beobachtungen und Gedanken zu der aktuellen politischen Situation im Iran wieder.
Warum überhaupt in den Iran reisen?
Bereits während der Reisevorbereitungen freute ich mich schon darauf irgendwann mit dem Rad im Iran anzukommen. Ich wollte dieses für mich äußerst unbekannte Land selbst erfahren, mir mein eigenes Bild machen. Der Iran war für mich eines der ersten großen Ziele auf dieser Reise. In unseren westlichen Medien taucht der Iran ja meist nur als Badboy auf, beispielsweise wenn es um die Atompolitik geht oder wenn wieder neue Sanktionen zu den schon unzählig bestehenden dazu kommen. Oft wurde ich beim Berichten von meinen Reiseplänen auch mit stumpfen Vorurteilen konfrontiert, dass dies ja ein absolut unsicheres Land sei.
Zugegeben, das Auswärtige Amt hatte bereits vor den aktuellen Protesten vor nicht notwendigen Reisen in den Iran gewarnt. Zum Beispiel wegen der Gefahr von Terrorismus in der Grenzregion zu Pakistan oder wegen der Gefahr von Aufständen in Kurdistan oder anderen Gebieten in denen einige der zahlreichen Minderheiten wohnen. Doch brodelte gerade nichts aktiv im Land, zu dem Zeitpunkt als ich mich um das Visum bewarb und auch später bei meiner Einreise nicht.
Dass man im Iran nicht Polizei, Militär, Atomanlagen oder andere vom System als kritisch angesehene Infrastruktur fotografieren sollte ist unter Reisenden bekannt. Ebenso, dass man sich an die Kleidungsvorschriften halten muss.
Waren das Gründe für mich nicht in das Land zu reisen? Nein, ich wollte dieses Land mit seinen Menschen selbst sehen und mich nicht von irgendwelchen Vorurteilen leiten lassen.
Eine Reise ins Mittelalter?
Die amtliche Bezeichnung für dieses Land ist „Islamische Republik Iran“ und das seit 1979, dem Jahr der Islamischen Revolution. Dabei wurde das vorher monarchische Land in eine Theokratie überführt, mit einem Ajathollah als oberstem Führer – „gewählt“ auf Lebenszeit. Mit der neu gegründeten Republik kam es zu einer Islamisierung des Landes. In dem sowieso schon patriarchalisch geprägten Land wurden nun unter anderem zahlreiche Gesetzte zur Unterdrückung der Frauen eingeführt, die strengen Kleidungsvorschriften sind dabei nur ein Teil.
Dieser Unsinn geht aber immer noch weiter. So wurde erst 2005 die sogenannte Sittenpolizei eingeführt, die unter anderem auf die Einhaltung der Kleidungsvorschriften achtet. Was „achten“ dabei heißt, habe ich aber schon im ersten Absatz angedeutet.
In meinen Augen ist diese Revolution ein Rückschritt ins Mittelalter gewesen. Für mich gehören Staat und Religion getrennt, das Patriarchat abgeschafft, Gleichberechtigung hat für alle Menschen zu gelten.
Trotzdem sind viele Frauen im Iran extrem stark und kämpfen für ihre Rechte. Und das schon lange, nicht erst seit den aktuellen Demonstrationen. Schon vor dem 19. September habe ich beispielsweise Frauen ohne Kopftuch gesehen, oder viele die das Kopftuch sehr weit nach hinten gezogen trugen. Allgemein scheint auch Mode ein sehr bewusstes Kampfmittel der Frauen zu sein.
Und auch wenn der Iran bisher das Land auf meiner Reise mit den wenigsten Frauenrechten war, so war es bisher auch das Land, mit dem meisten Kontakt zu Frauen. Nirgendwo anders hatte ich als allein reisender Mann bisher so viele spontane Gespräche mit Frauen. Das fing bereits zehn Minuten nach der Einreise beim Verlassen des Grenzübergangs an, als eine Autofahrerin kurz anhielt, mich in ihrem Land begrüßte und mir eine wunderbare Zeit wünschte.
Was habe ich von den Demonstrationen mitbekommen?
Ich war gerade bei einem Warmshowers Host zu Gast, als sich die Nachricht über den Tod von Jina Amini verbreitete. Gleichzeitig wurde das Internet eingeschränkt, es war zunächst super langsam, Instagram und diverse Messanger nur über VPN nutzbar.
Ein paar Tage später in Tehran angekommen, riet mir das Hostelpersonal ab späten Nachmittag bestimmte Gebiete zu vermeiden. Am besten sollte man ganz im Hostel bleiben zu diesen Zeitpunkten. Ich sah draußen an zentralen Verkehrspunkten Unmengen mit Schlagstöcken und Schusswaffen ausgestattete Militärs herum stehen oder auf Motorrädern durch die Gegend fahren. An einem Abend auf dem Heimweg zum Hostel kam ich an einer brennenden Mülltonne vorbei – hier war ich sehr froh, dass keine weiteren Menschen mehr in der Nähe waren und ich auch schnell verschwinden konnte.
Bewaffnete Militärs gab es dann aber auch in weiteren Städten des Landes zu sehen. Besonders krass wirkten auf mich die unzähligen jungen Basidschi-Milizionäre in Bandar Abbas: Vom Alter vielleicht um die 20 Jahre, meist zivile Kleidung, ein Strumpf über dem Kopf, ein Schlagstock, ein Schutzschild zur Verteidigung und schick geputzte einheitliche Mopeds die zur Abreise bereit standen.
Die zunehmende Einschränkung des Internets konnte ich weiterhin beobachten. „Welchen VPN nutzt du?“ War eine sehr oft gestellte Frage, denn die Apps mussten immer wieder gewechselt werden – eine die gestern noch ging, konnte heute schon wieder gesperrt sein. Ich selbst hatte in den letzten drei Wochen meiner Iran-Reise keinen funktionierenden VPN mehr. Einige behaupteten, dass dies über das Mobilfunk-Netzwerk gar nicht mehr ginge.
Demonstrationen habe ich selbst zum Glück weder gesehen noch gehört – ich war immer weit genug entfernt. In den Hostels konnte gefragt werden wann und wo es brenzlig werden könnte, so dass man diese Orte meiden konnte. Für meine Radeletappen beobachtete ich einerseits alle möglichen Medien um zu schauen, wo etwas passiert und wo es ruhig blieb und wählte dementsprechend sichere Strecken.
Am eindrucksvollsten waren jedoch die vielen vielen Gespräche mit den Iraner*innen. Mir wurden Verletzungen gezeigt die durch die Gewalt der Milizen enstanden sind, ich hörte von inhaftierten Freund*innen meiner Gegenüber, von Anrufen des Geheimdienstes aufgrund „falscher WhatsApp-Aktivitäten“, von Trauer, Schmerz und von jeder Menge Hass auf das Mullah-Regime. Gleichzeitig waren sie aber so stolz auf die vielen starken, mutigen Frauen welche sich nun ohne Kopftuch in der Öffentlichkeit zeigten. Und stolz auf die ganzen Demonstrierenden. Viele hofften, dass sich nun etwas ändern würde, andere waren da eher noch skeptisch.
Tja und dann waren noch die ganzen Grusel-Geschichten anderer Radreisender. Entweder erfuhr ich sie über das direkte Gespräch wenn man sich traf oder über eine WhatsApp-Gruppe der Radel-Gemeinschaft. Da gab es zum Beispiel die Kontrollen durch die Polizei, bei der Handys entsperrt und vorgezeigt werden mussten – die Kontakte aus den Messengern abfotografiert, Fotos kontrolliert wurden. Gleiches Interesse galt Tablets und Laptops. Noch mehr Respekt einflößend waren die Geschichten von inhaftierten (Rad-)Reisenden oder einem vermissten spanischen Touristen, welcher zu Fuß unterwegs war.
Trotzdem weiter reisen – ganz schön bescheuert?
Die Proteste waren noch keine Woche im Gange, als ich Besuch von sehr guten Freunden aus Deutschland bekam. Mein Rad war in Isfahan geparkt, wir trafen uns in Tehran und reisten dann gemeinsam für 14 Tage entlang der typischen Touri-Route mit Bus und Taxi durch das Land, schliefen in Hostels und besuchten die klassischen Touri-Ziele. Dies war eine andere Art zu reisen, in meinen Augen fühlte es sich wesentlich sicherer an, ich war auch gut abgelenkt. Auch war zu dem Zeitpunkt noch nicht klar wie sich die Situation entwickeln würde, es fing ja gerade erst an. Als die beiden dann wieder weg waren traf ich in einem Hostel in Isfahan auf viele andere Radreisende und da war das Thema natürlich die aktuelle Situation im Land und was wir nun machen. Es war die zweite Oktoberwoche, wo ich nun ernsthaft überlegte, ob auch ich nun das Land verlassen sollte oder nicht. In meiner Erinnerung hatten Frankreich und Italien zu diesem Zeitpunkt bereits ihre Landsleute aufgefordert das Land zu verlassen.
Ich überlegte lange, musste dann mein Visum verlängern, was mir zum aktuellen Zeitpunkt in Isfahan verweigert wurde. Die Polizeibehörde schickte mich dazu weiter nach Yazd. Damit war zumindest ein Teil meiner Entscheidung von der Behörde für mich getroffen wurden – bis Yazd musste ich jetzt noch. Im Hostel hatte ich einen befreundeten Reiseradler aus Italien wieder getroffen, wir hatten die gleiche Route und radelten so erstmal gemeinsam weiter.
In Yazd angekommen bekam ich dann auch die Verlängerung des Visums, allerdings nur für 30 Tage – vor den Protesten waren wohl 45 oder 60 Tage üblich. Aber auf so viel hatte ich eh nicht mehr Lust. Wieder musste ich entscheiden wie es weiter gehen sollte. Ich entschied mich auf relativ direktem Weg nach Bandar Abbas zu radeln, um von dort aus die von den Demonstrationen verschonten Inseln Hormuz und Qeshm zu besuchen. Es war ein Kompromiss aus Respekt vor der Situation und dem Fakt, dass ich nun einmal in diesem lange ersehnten Land war. Gleichzeitig nahm ich mir vor bei einer eventuell kommenden Ausreiseaufforderung des Auswärtigen Amtes meine Reise im Iran abzubrechen. Letztere kam dann auch am dritten November, zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits die möglichst sichere Ausreise in die Türkei mit Zug und Taxi weitgehendst organisiert und wartete diese nur noch auf Qeshm ab.
Trotz der angespannten Situation im Land hatte ich eine gute Zeit im Iran. Die Iranis die nicht den Mullahs anhängen sind wunderbare Leute! Ich habe tolle Menschen kennengelernt, wunderschöne Orte besucht und jede Menge gestaunt. Klar gab es auch nicht so pralle Situationen, aber das kommt in der ein oder anderen Art und Weise in allen Ländern vor. Ich bin sehr froh den Iran bereist zu haben.
Trotzdem bin ich gerade sehr froh jetzt raus zu sein. Das Gefühl von Freiheit welches ich beim Grenzübertritt in die Türkei verspürte, war enorm. Es führt mir ziemlich gut vor Augen wie gut die Repression dieses Unrechtsregimes funktioniert – wenn selbst ich als unbeteiligter kleiner Touri schon so viel Respekt vor der Situation habe und genau überlege was ich tue, sage, fotografiere, poste, … . Der Chilling-Effekt lässt grüßen -.-
„Please be our voice!“
In den ganzen Gesprächen mit den Iraner*innen wurde ich immer wieder gebeten „Please be our voice!“ Und das möchte ich auch mit diesem Post ein kleines Bisschen sein. Der Beginn der Proteste ist nun bereits neun Wochen her, die Medienaufmerksamkeit lässt leider etwas nach. Und auch wenn es nicht viel gibt was wir außerhalb des Irans tun können, um die mutigen Iraner*innen zu unterstützen, so sollte die aktuelle Entwicklung trotzdem weiterhin genau beobachtet werden. Eine Revolution die von außen nicht bemerkt wird hat garantiert Schwierigkeiten zu gelingen.
Für meinen Teil kann ich nur Hoffen und den ganzen mutigen Iraner*innen wünschen, dass die Proteste zielführend sind. Und selbst wenn es auch jetzt noch nicht zum Umsturz kommt, so ist hoffentlich ein Funke gelegt, um eine geschlossene Oppositionsbewegung zu gründen, die dann möglicherweise über kurz oder lang das mittelalterliche Mullah-Regime zum Fall bringt. Es wäre wirklich absolut traurig, wenn das bisher verflossene Blut um sonst wäre.
Liebe Iranis, bleibt mutig und kämpft weiter!
Laut der Human Rights Activists News Agency (Reuters-Meldung) sind zum 15. November bereits 344 Tote zu verzeichnen, davon 52 Minderjährige und 40 „Sicherheitskräfte“. Es gab 15.820 Festnahmen.
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