Mit dem Rad durch Armenien

Armenien nur in 20 Bildern abzuhandeln wäre dem kleinen Kaukasusland natürlich völlig ungerecht gegenüber. Daher nun ein kleiner Bericht meiner Zeit in diesem Land.

Zugegebener Maßen lag Armenien für mich eigentlich „nur auf dem Weg“ in Richtung Iran. Konkrete Ziele hatte ich kaum: Sewansee, mal ein Kloster besuchen und die Berge genießen – das schwebte mir so vor. Vermutlich weil dieses Land für mich vorher viel zu unbekannt war. Und dann war da ja auch noch der Bergkarabachkonflikt über den ich immer wieder mal etwas gehört hatte. War es überhaupt sicher dahin zu radeln?

Was die Sicherheitslage an ging, so informierte ich mich vorher an verschiedenen Stellen im Netz. Zu Auseinandersetzungen mit Aserbaidschan kam es bisher scheinbar „nur“ direkt an der Grenze und in der Region um Bergkarabach selbst – letztere liegt innerhalb Aserbaidschans, da sollte ich sowie so nicht hin kommen. Auch die direkte Grenze zu Aserbaidschan ließ sich vermeiden. Außerdem waren bereits zahlreiche andere Reiseradler und Vanlifer ohne Probleme diesen Sommer in dem Land unterwegs – über eine WhatsApp-Gruppe der Radel-Gemeinschaft erfährt man immer ganz gut, was so los ist.

Blaue Linie: Die Radelroute. Blaue Punkte: Campspots, Unterkünfte. Oranger Punkt: 15.000 Kilometer geschafft.

Willkommen in Armenien!

Von Georgien kommend ging es vom Grenzübergang Bagratashen zunächst in Richtung Vanadzor. Die Landschaft sah völlig anders aus als erwartet: Ich befand mich im grünen, recht schmalen Tal des Flußes Debed mit steilen Talwänden. Die schmale Straße schlängelte sich am Fluß entlang bei nicht zu starkem Verkehr. Auffällig waren hier schon die vielen alten Fahrzeuge aus Sowjetischen Zeiten. Während meiner Mittagspause beobachtete ich einen älteren Herren dabei, wie er seinen alten Lada mehrfach erfolglos startete, anschließend begann mit etwas mitgeführtem Werkzeug daran herum zu schrauben, um nach einer halben Stunde doch noch erfolgreich weiter zu fahren. Scheinbar noch recht einfach beherrschbare Technik. Genauso beeindruckt war ich aber auch schon am ersten Tag von der Herzlichkeit der Armenier. Sehr oft wurde ich gegrüßt, von Männern aber auch von Frauen die lächelnd „Hello“ riefen, bekam Obst geschenkt. Der erste Abend in Armenien endete dann in geselliger Runde mit anderen Reisenden auf einem kleinen freien ebenen Platz vor einer verlassenen Industriebrache direkt zwischen Fluß und Straße. Zunächst traf ich Antoine aus Berlin. Ein Lehrer im Ruhestand, der seine freie Zeit nun auf dem Rad genoss. Ein großartiger Mensch, mit dem ich gut und gerne noch viele weitere Geschichten ausgetauscht hätte, leider radelten wir in entgegengesetzte Richtungen. Dann war noch ein Motorradreisender aus den Niederlanden am Start und etwas später rollte ein mir bereits bekanntes Expeditionsmobil auf unseren wilden Camping-Platz. Ein schönes Wiedersehen mit Kay, Corinne und ihren Kids aus der Schweiz.

Die haben schon so einige Kilometer auf dem Buckel.

Doch schon am nächsten Tag traf ich gleich ein paar Kilometer weiter in Alaverdi auf den nächsten Radreisenden. Auch wir hatten uns schon ein paar Wochen zuvor kurz in Tiflis kennengelernt, hatten jedoch andere Routen. Ein paar Stunden später, sah ich während meiner Mittagspause zwei weitere schwer bepackte Radler auf mich zukommen und wie der Zufall es will, waren es Arev und Mathias – wir hatten bereits über Instagram Kontakt und wollten uns eigentlich in Yerevan treffen. Wir beschlossen erstmal gemeinsam weiter bis nach Vanadzor zu radeln – zu dritt war die Bergetappe gleich noch ein Stück angenehmer. Da die Chemie stimmte, verbrachten wir letztendlich die nächsten vier Tage gemeinsam, bis sich unsere Wege routenbedingt am Sewansee wieder trennten. Doch diese vier Tage waren ziemlich gut. Es gab viele Gespräche über die Themen die Reiseradler nun mal so unter sich haben und dazu lernte ich noch jede Menge über Armenien, denn Arev ist gebürtige Armenierin, lebte vor ihrer Weltreise jedoch schon ein paar Jahren mit Mathias in Deutschland. Es war auch eine äußerst spannende Erfahrung mit einem „Local“ unterwegs zu sein – so öffnen sich nochmal viel mehr Türen. Danke euch für die schöne Zeit!

Unterwegs mit Arev und Mathias.

Vielleicht ist es der kleinen Fläche geschuldet, vielleicht dem Fakt, dass es in Armenien kein so dichtes Straßennetz wie bei uns gibt oder auch der Tatsache, dass es für viele Radreisende im Sommer 2022 die direkte Verbindung von Georgien in den Iran war – ich traf jedenfalls noch 14 weitere Radreisende in dem Land. Angesichts dessen, dass es manchmal Wochen ohne jeglichen direkten Kontakt zu anderen Reisenden gibt, fand ich das schon beträchtlich. Es zeigt aber auch, dass Armenien im Sommer 2022 definitiv keine No-Go-Area war.

Ein paar Tage in den kargen Weiten Armeniens

Mit dem Erreichen des Sewansees änderte sich schlagartig die Landschaft. Sie war hier viel weiter und wesentlich karger. Grüne Wälder gab es nicht mehr zu sehen, wenn auch freilich am Ufer des riesigen Sees natürlich schon etwas Baumbewuchs vorhanden war. Aber ansonsten war halt einfach nichts außer weites hügeliges, mit Gras oder stachligen Zeugs bewachsenes steiniges Gelände. Die Szenerie war dann meist durch entweder noch höhere Hügelketten oder imposante Gebirgszüge begrenzt.

Einfach nur Genuss.

Ich nahm mir Zeit um äußerst gemütlich am Ostufer des Sewansees bis nach Martuni zu radeln. Legte zwischendurch einen Pausetag am See ein und musste dank der Armenischen Gastfreundschaft alles andere als Hunger leiden, trotz dass es auf dieser Strecke nur äußerst spärliche Versorgungsmöglichkeiten gab. Wenn ich hier etwas negatives anmerken müsste, wäre es maximal der Gegenwind. Der kann natürlich an so einem dick bepackten Reiseradler bestens angreifen in der kargen Weite. Die Temperaturen waren am See mit um die 30°C zwar warm aber noch ganz gut erträglich – man konnte ja schließlich auch baden.

Von Martuni aus ging es hoch hinauf auf den Selim Pass. Kurz hinter dem Pass erwartete mich dann die erste Karawanserei in die ich einen Fuß setzten durfte. Es war schon ein spezielles Gefühl als Reisender solch ein altes Gebäude zu besichtigen, welches wiederum für Reisende errichtet wurde. Man spürte richtig, dass dieses Gebäude aus einer völlig anderen Zeit stammte. Außerdem war ich erstaunt, wie gut dieses alte Gebäude erhalten war.

Vom Selimpass in Richtung Süden.

Die nun folgende Abfahrt bescherte mir zum einen wirklich spektakuläre Ausblicke auf das Tal mit seinen wunderschönen Felsformationen und zum anderen Hitze. Ab jetzt sollte es die nächsten Tage mit um die 35°C richtig schön heiß werden.

Die Kirche in Areni.

Bevor es jedoch weiter in Richtung Süden ging, stand eine kleine Pause in dem kleinen Örtchen Areni an. Dieses Dorf liegt mitten in einer bedeutenden Weinregion und das galt es natürlich mal genauer zu betrachten. Und ja, ich kann den armenischen Wein weiter empfehlen. Übrigens soll in Armenien oder Georgien (da schwanken je nach Land die Ansichten) ja auch die Wiege des Weins liegen. Zumindest wurde dort schon vor tausenden Jahren in in die Erde eingegrabenen Tonfässern Wein hergestellt – eine Tradition die teilweise auch heute noch erhalten ist. Historische Spuren davon lassen sich bei Areni in einer Höhle besichtigen. An dieser archäologischen Stätte gibt es einige dieser eingegrabenen Tonfässer aus der Zeit von 4000 v. Chr. zu bestaunen.

Areni und Umgebung.

Von Areni aus folgte ich dem Fluß Arpa hinauf bis nach Jermuk. Kurz hinter Vayk verließ ich dazu die Hauptverkehrsachse M2 und musste nun entscheiden ob es auf der alten oder der neuen Straße nach Jermuk gehen sollte. Spontan entschied ich mich für die alte und landete damit einen wahren Volltreffer. Das was nun kam war für mich der Scenic Drive Armeniens schlecht hin. Die kaum noch genutzte Straße hatte ihre besten Tage schon längst hinter sich, doch das störte nicht. Das anfangs noch weite Tal wurde stetig immer schmaler und verwandelte sich in eine Art Canyon. Die Felswände schienen auf vulkanischen Ursprung hin zu deuten, es gab jede Menge Basaltsäulen zu sehen. An Campspots mangelte es in dem Tal auch nicht – nach jeder schönen Stelle kam eine weitere noch schönere. Nur das stürmige Wetter verlangte etwas Fingerspitzengefühl beim Zeltaufbau. Am darauf folgenden Tag wies ein Wegweiser im Tal hinauf zum Gndevank-Kloster. Ich versteckte das Tier etwas im Gebüsch um nicht unnötige Höhenmeter mit all dem Gepäck zurück legen zu müssen und wanderte das kleine Stück zum Kloster hinauf. Nach Abschluss meiner Besichtigung schaute mich der scheinbar dort lebende Mönch etwas grimmig an – vermutlich war mein Radleroutfit nicht ganz klostergerecht. Kurz hinter dem Abzweig zum Kloster verabschiedete sich dann der Aspahlt für ein paar Kilometer und es ging auf recht losem Untergrund weiter. Einige Stellen waren so steil und verblockt, dass ich schieben musste. Doch trotz der Anstrengungen genoss ich jede Minute, die Landschaft mit dem schroffen Canyon war einfach wunderschön. Um ehrlich zu sein war ich dann bei meiner Ankunft in Jermuk schon etwas enttäuscht, dass dieses spannende Stückchen Straße nun schon wieder zu Ende war.

Vom Arpa Tal zum Vorotan Pass.

Von Jermuk zurück auf der M2 in Richtung Süden angekommen, machte mir der Gegenwind wieder ganz schön zu schaffen. Dabei den Vorotan Pass zu erklimmen war irgendwie nicht gerade angenehm. Und auch auf den Kilometern nach dem Pass blies es weiter von vorn während es ständig hoch und wieder runter ging – hügelige Landschaften sind irgendwie besonders Kräfte zehrend. Nach zwei Tagen Gegenwind war ich dann in Goris angekommen. Einer Kleinstadt in der Sjunik Provinz. Hier legte ich für ein paar Tage eine Pause ein, um ein paar Dinge für das nächste Reiseland zu organisieren.

Es wird heiß

Von Goris war es nicht mehr weit bis an die iranische Grenze, dafür galt es aber noch mal einige Höhenmeter zu bewältigen. Über das Netz hatte ich eine recht neue Touristenattraktion in der Gegend ausfindig gemacht: Die „Wings of Tatev“ – eine rund 5,7 Kilometer lange Seilbahn, die direkt über das Vorotan Tal zum Kloster von Tatev hinüber schwebt. Scheinbar ließen sich auch Fahrräder mit nehmen. Es klang einfach zu gut, denn zum einen bin ich schon ein kleiner Seilbahn-Fan und zum anderen würde mir die Fahrt damit tatsächlich die Abfahrt hinter zum Fluß und vor allem die Höhenmeter hinauf nach Tatev abnehmen. Als ich dann allerdings irgendwann kurz vor Mittag an der Seilbahn-Station an kam, erklärte man mir, dass diese erst wieder am nächsten Morgen verkehren würde. Na klasse. Etwas grummelig rollte ich also hinab ins Tal und sah schon die Serpentinen auf der gegenüberliegenden Seite als kleines „Motivationshäppchen“ vor mir. Aber irgendwie muss ja alles für irgendetwas gut sein, denn ganz unten im Tal stand ein bepacktes Fahrrad neben der Straße und ein kleines Stück daneben im Schatten einer kleinen Hütte fand ich den dazugehörigen Radler: Matthias aus Südtirol, Italien. Es war Mittag, die Sonne bruzelte und wir quatschen bis es irgendwann Nachmittag und damit Zeit war endlich die Kehren hinauf zum Kloster anzugehen. Am nächsten Tag fuhr jeder wieder allein weiter, wir hatten aber zumindest Kontaktdaten ausgetauscht. Dass wir uns später im Iran gleich dreimal treffen würden und dann auch einige Kilometer gemeinsam teilen würden, ahnten wir da noch nicht.

Von Tatev an die Iranische Grenze.

Die Berghänge waren ab der Gegend um Tatev herum wieder mit Bäumen bewachsen, zumindest unterhalb der Baumgrenze. Aufgrund des sommerlichen Wetters konnte ich das nur begrüßen, denn wo Bäume sind, da ist auch Schatten. Schweiß floß trotzdem genug beim Erklimmen der Bergpassagen, vor allem bei der Letzten hinauf auf den Meghri Pass – mit 2535 Metern mein höchster Punkt in Armenien. Ich startete wegen des Wetters zwar schon zeitig am Morgen, doch die Strecke zog und zog sich. Es war zur Mittagszeit als mir langsam die Kraft aus ging und einfach kein geeigneter Schattenplatz für eine Pause auftauchen wollte. Aber auch das war irgendwann gemeistert. Oben auf dem Pass angekommen gab es zur Belohnung Wassermelone, spendiert von ein paar Iranischen Truckern – neben dem Ausblick auf die Iranischen Berge in der Ferne ein Vorgeschmack auf die Gastfreundlichkeit im nächsten Land. Ich campierte ein kleines Stückchen unterhalb des Passes und rollte erst am nächsten Tag hinunter in den Grenzort Agarak.

Im Tal erwarteten mich zwei Dinge: Wirklich unglaublich spektakuläre Ausblicke auf die mächtigen, schroffen und äußerst bizarr wirkenden Berge die das relativ schmale Tal des Aras Flußes begrenzten sowie eine unglaubliche Hitze mit knapp über 40°C. Verdammt war das anstrengend die letzten Meter bis zum Hostel zu radeln. Aber auch wenn ich mich bewegen musste, mit einem der zahlreichen Trucker die scheinbar ewig vor der Grenzabfertigung warteten wollte ich nun auch nicht tauschen, die konnten schließlich nicht vor der Hitze fliehen. Der sich nicht fortbewegende Stau deutete auf eine sehr harte Grenze hin – für mich als Reiseradler mit Tourivisum für den Iran war sie allerdings kein Problem. Bevor es jedoch soweit sein sollte, blieb ich noch für ein paar Tage im Hostel in Agarak, bis das Thermometer wieder ein klein wenig Entspannung anzeigte.

Fazit

Die Zeit in Armenien war für mich äußerst spannend. Hatte ich mir vorher recht viel Ähnlichkeit mit Georgien vorgestellt, so war Armenien doch irgendwie komplett anders. Die Menschen wirkten auf mich herzlicher, das Land dafür aber wiederum viel abgekapselter vom Westen, statt dessen war die Nähe zu Russland bezeichnend. Politisch gesehen scheint das Land vor einer schier unglaublichen Zahl von (kaum lösbaren) Problemen zu stehen: Der Bergkarabach-Konflikt und die Beziehungen zu Aserbaidschan, die Vergangenheit und die aktuellen „Nichtbeziehungen“ zur Türkei, die Abhängigkeit von Russland, die Korruption im Land, die Probleme durch die aktuelle Flüchtlingswelle aus Russland – das sind nur ein paar Themen von den ich etwas gehört oder gelesen habe. Armenien wirkt auf mich wie ein kleines, schwaches, armes Land an dem von allen Seiten gezogen wird.

Wettertechnisch habe ich die Reisezeit wohl nicht so optimal abgepasst, bei ein klein wenig kühleren Temperaturen kurbeln sich die zahlreichen Höhenmeter vermutlich besser. Es lohnt sich garantiert nochmal wieder zu kommen – per Fahrrad am besten mit einem leichteren, noch geländegängigerem Setup oder noch viel besser mit vernünftigen Wanderschuhen. Armenien scheint ein kleines Wanderparadies zu sein, touristisch noch wesentlich unerschlossener und vielleicht auch etwas rauer als Georgien.

Nachwort

Am vierten September verließ ich Armenien. Neun Tage später gab es von Aserbaidschan Angriffe unter anderem auf zivile Ziele bei Vardenis, Jermuk und Goris. Angriffe auf Ziele innerhalb des international anerkannten Staatsgebiets von Armenien sind eine neue Qualität des Konflikts. Dem aufmerksamen Leser sollte auffallen, warum es mir bei dieser Nachricht kalt den Rücken runter lief. Die Kampfhandlungen wurden nach zwei Tagen wieder eingestellt. Zumindest vorerst, denn dass dieser seit vielen Jahrzehnten bestehende Konflikt ein zeitnahes sowie friedliches Ende findet ist leider nicht abzusehen. Gerade jetzt wo der „große Partner“ Armeniens „in der Ukraine beschäftigt ist“ und auch die Öffentlichkeit keinen Nerv für die aktuellen Vorgänge in der Region hat.


Reisezeit: August/September 2022

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