Pech gehabt in Montenegro

Regelmäßige Leser haben bestimmt schon mitbekommen, dass das Projekt Langzeitreise die ein oder andere Herausforderung mit sich bringt. So lauerte auch in Montenegro mal wieder ein neues Problem auf mich.

Rumpelnder Personenzug mit sagenhaften zwei Wagons am Skutarisee.

Mit dem Grenzübertritt nach Montenegro ging es nun erst mal raus aus der Europäischen Union, denn der Staat ist bisher nur Anwärter auf eine EU-Mitgliedschaft. Ein erstes Reiseandenken gab es gleich bei der Einreise mit blauer Stempelfarbe – damit war der neue Reisepass nun endlich eingeweiht. Kursumrechnungen im Supermarkt blieben mir erspart, denn der Euro ist in diesem Land witziger weise das offizielle Zahlungsmittel. Vor der Einführung des Euros war es die Deutsche Mark. Die EZB scheint nicht sehr begeistert davon zu sein, dass Montenegro den Euro nutzt – aufgrund der Anwartschaft zum EU-Beitritt sieht der Finanzminister jedoch keinen Sinn darin zwischendurch eine eigene Währung einzuführen.1 Auch bezüglich der Sprache war es hier leicht für mich, denn Montenegrinisch ist dem Kroatischen sehr ähnlich. Auch sprechen und verstehen viele Menschen in diesem Land Kroatisch – die mir bisher bekannten Floskeln konnten also gleich weiter genutzt werden. Montenegrinisch lässt sich sowohl mit kyrillischen Buchstaben als auch mit lateinischen Buchstaben schreiben. Viele der Straßenschilder waren in beiden Schriften gesetzt, modernere Reklame in lateinischer Schrift und nur vereinzelt gab es ein paar alte Schilder oder Werbungen nur in kyrillischer Schrift zu sehen. Endlich ein erstes Land in dem meine wenigen Russischkenntnisse zumindest schon mal zum Lesen was taugten.

Vom sehr kleinen Grenzübergang Kobila aus ging es erst mal ein Stück entlang der Bucht von Kotor. Wer Reisetipps für Montenegro bekommt, hört auch immer den Namen dieser Bucht. Fährt man die große Runde rings herum und dann auch noch von Kotor die 16 Kehren hinauf in Richtung Cetinje, dann muss es wohl tolle Ausblicke geben. Beides habe ich mir aus wettertechnischen Gründen verkniffen und statt dessen in der Bucht mit der Fähre abgekürzt. Was ich allerdings bis dahin von der Bucht zu sehen bekam hat mich noch nicht so sehr vom Hocker gerissen – viel Betonarchitektur, Haus an Haus, auch nicht ganz gepflegt und recht dichter Verkehr. Vom Fähranleger in Lepetane ging es direkt weiter nach Budva, wo ich mir ein Zimmer zum Aussitzen des Regens gebucht hatte. Für einen anderen Grund würde ich allerdings nicht wieder nach Budva reisen. Es ist eine absolut auf russische Strandtouristen ausgelegte Beton-Stadt. Es reiht sich Hotel an Hotel und mehrere Baustellen weisen auf weitere Hotels hin. Es gibt zahlreiche Shopping-Angebote, allerdings hatte ich gerade keinen Bedarf auf neuste Designer Mode. Direkt am Meer steht ein Stückchen schöne kleine Altstadt mit Festungsmauern, so ähnlich wie in Dubrovnik nur viel viel kleiner. Dazu noch etwas Strand und natürlich auch Restaurants und Cafés. Was eine Touristadt halt so braucht.

An der Küste Montenegros.

Ganz hatte sich der Regen noch nicht gelegt, als ich ein paar Tage später über eine andere Straße hinauf in Richtung Cetinje weiter rollte. Doch es gab die Aussicht auf baldige Besserung. So schien dann am nächsten Morgen auch die Sonne auf das Zelt, was die Reiselaune gleich nochmal viel weiter anhob. Es ging nun auf einer recht schmalen Straße durch eine sehr einsame Gegend in Richtung Nikšić. Die Landschaft war ein Traum. Überall waren lauter Felsen und Gesteinsbrocken zu sehen, dazwischen grüne Wiesen und strauchige Vegetation. Auch hier gab es viele alte Trockenmauern, die auf eine Urbarmachung des Landes hin deuteten. Hin und wieder schauten mir ein paar Pferde oder Esel beim Radeln zu, die Hunde dagegen waren von meiner Anwesenheit meist nicht so begeistert. Dies beruhte allerdings auf Gegenseitigkeit. Ab und zu kam ich durch kleine Siedlungen mit vier bis fünf Häusern, selten mehr. Die Häuser waren meist aus Bruchsteinen gebaut. In einer dieser Siedlungen hielt ich an und fragte nach Wasser. Vor mir lagen drei frisch geschlachtete Schweine – einer der Bauern spritzte gerade den Stall mit Wasser aus, die anderen saßen auf einer Bank und warteten wohl den Zerlegeprozess ab. Wie sonst überall auch bekam ich natürlich die Flaschen aufgefüllt – vielen Dank!

Das scheinbar unberüherte Montenegro.

Ein Stückchen weiter wurde aus der kleinen Straße auf einmal eine Baustelle für eine wesentlich größere Straße. Ein ganzes Stück ging es auf gut verdichtetem Schotter der nur noch auf eine Asphaltdecke zu warten schien in Richtung Nikšić. Doch auf einmal wurde aus verdichtetem Schotter loses Geröll. Und ich befand mich auf einer Abfahrt, versuchte sofort Geschwindigkeit raus zu nehmen aber es war zu spät. Der Lenker verzog durch das lose Geröll und ich schlitterte mit dem Tier einmal quer über das Geröllfeld. Fuck, fuck, fuck. Dank der Einöde gab es keinen Verkehr und so konnte ich nach einem ersten Beweglichkeitscheck das Tier und die ganzen Dinge die bei dem Sturz über der Fahrbahn verteilt wurden an den Straßenrand holen, dann das Verbandspaket greifen und anfangen zu realisieren was alles „kaputt“ gegangen ist. Blut gab es an mehreren Stellen, am stärksten schien der linke Ellbogen betroffen zu sein, doch auch am Bauch und am Knie war es nicht ohne. In der Zwischenzeit hielt ein Auto und der Fahrer fragte ob ich Hilfe bräuchte, da er nur Minipflaster hatte und ich keine Bewegungseinschränkungen verspürte verneinte ich. Nach dem die Wunden erst mal grob desinfiziert und verbunden waren, inspizierte ich das Tier. Vom rechten Bremshebel für die Hinterradbremse hatte es die Befestigungsschelle zerrissen, so dass dieser nur noch am Bautenzug baumelte. Der Lenker war leicht verbogen, einer der Flaschenhalter ebenso – dieser war jedoch im Nu wieder zurück gebogen. Unter den nun etwas stärker werden Schmerzen packte ich zusammen, studierte die Karte und beschloss nun nach Danilovgrad zu fahren, das war circa 30 Kilometer entfernt und recht groß. Dort musste es einen Arzt geben.

Nach den ersten Metern traf ich auf einen französischen Radreisenden. Dieser machte mir Mut, da er gerade aus Danilovgrad kam und die Straße für meine Reiserichtung wohl sehr gut fahrbar war. Das stimmte letztendlich auch, es ging meist bergab, dazu gab es recht guten Asphalt. Allerdings musste ich gelegentlich anhalten, da die ganze Zeit nur mit Links zu bremsen dann doch etwas Schmerzen verursachte und ich mich nicht so ganz wohl auf dem Tier fühlte. So langsam begannen auch meine Rippen zu schmerzen. Mit jedem mal aufs Rad steigen immer mehr. Die Landschaft war aber auch hier auf diesem Abschnitt grandios und ich begann mich tierisch zu ärgern, nicht besser aufgepasst zu haben. So eine verdammte Dummheit. Ausgerechnet jetzt wo das Wetter wieder bestens war und es eigentlich in etwas entlegenere Regionen von Montenegro gehen sollte.

Um das Ganze nun etwas abzukürzen: In Danilovgrad gab es eine gute Erstversorgung in der örtlichen Ambulanz, einen Tag später im Krankenhaus in Podgorica eine Röntgenuntersuchung und die Aussage, dass die Rippen vermutlich nur geprellt waren. Am linken Ellbogen war für die nächsten zwei Wochen ein regelmäßiger Verbandswechsel nötig, ich gönnte mir ein paar Tage Pause in Podgorica, rollte letztendlich aber fünf Tage nach dem Unfall wieder weiter. Also vielleicht doch eher nicht Pech sondern Glück gehabt?

Blick in Richtung nördliches Ende des Skutarisees.

Da ich Anfangs noch nicht ganz sicher war, wie zeltkompatibel ich zum Zeitpunkt der Weiterreise war, verzichtete ich auf einen weiteren Hinterlandsbesuch in Montenegro. Dafür ging es ins in Richtung Skutarisee weiter. Dort gab es genug touristische Infrastruktur, so dass ich bei Bedarf immer recht einfach eine Unterkunft hätte finden können.

Am Skutarisee.

Mit dem Skutarisee ging dann aber auch meine Zeit in Montenegro zu Ende, da durch diesen See die Grenze zu Albanien verläuft, was als nächstes Reiseland auf der Route stand. Der Skutarisee war jedenfalls ein tolles Abschiedsgeschenk von Montenegro an mich, denn hier war es wieder mal wunderschön. Es ist ein ziemlich besonderer See, nicht nur weil er der größte des Balkans ist. Besonders ist die schwankende Wassermenge im See, so dass die Wasseroberfläche nach der Schneeschmelze schon mal 540 km² betragen und sich nach einem heißen Sommer auf nur 370 km² verkleinern kann.2 Auf Montenegrinischer Seite gibt es daher riesige Feuchtland-Gebiete, die mal unter Wasser stehen und mal nicht – man sieht so unendlich lange Schilfzonen die mitunter auch schonmal ganz schön vertrocknet aussehen können. Der See wird zudem nicht nur durch die Morača aus Montenegro kommend gespeist, sondern auch durch einige unter der Wasseroberfläche liegende Quellen. Diese konnte ich allerdings nicht sehen. Dafür gab es lauter kleine Inseln zu bestaunen, als ich auf der schmalen Straße die das Westufer säumt weit oberhalb der Wasseroberfläche entlang radelte. Dieses weit oberhalb kommt durch den Gebirgszug zustande, welcher den See von der nur rund 20 Kilometer entfernten Adriaküste trennt. Für mich hatte es etwas leicht mystisches aufgrund der tief hängenden Wolken. Es mal wieder ein regnerischer Tag, an dem es entlang des Sees in Richtung Albanien ging. Was aber auf den Bildern auch sehr gut zum Ausdruck kommt ist diese für Montenegro typische raue, felsige Landschaft. Wie als wenn es überall Gesteinsbrocken geregnet hätte.

Ein Fazit zu Montenegro? So richtig viel habe ich ja leider nicht gesehen, doch die Küste scheint mir aufgrund der aufstrebenden Tourismusindustrie eher uninteressant zu sein. Zu verübeln ist es den Montenegrinern auf keinen Fall, es ist schließlich überall zu sehen wie arm die Menschen und das Land sind. Aber ich bin halt kein Strandtourist, der sich in Shoppingstädten wohl fühlt. Die Hauptstadt Podgorica lohnt sich definitiv nicht für einen Besuch, ganz im Gegenteil – auf mich wirkte sie eher abschreckend und ziemlich hässlich. Architektonisch ist es eine sehr neue Stadt mit vielen Bausünden aus der sozialistischen Zeit. Selbst die alte Moschee welche als Besichtigungsobjekt angepriesen wird ist nicht schön anzusehen. Das was ich dagegen vom unberüherten, dünn besiedelten Teil des Landes gesehen habe aber auch der Skutarisee lohnen sich auf jeden Fall. Die winzigen Dörfer sahen so ursprünglich aus, Leute die auf Eseln Holz zu ihren Hütten gebracht hatten, Kleinstgehöfte mit ein paar Ziegen, Schafen, Schweinen und einem Gemüsegarten – es wirkte ziemlich interessant auf mich.3 Es gibt eigentlich überall Berge, nur im Tal bei der Hautstadt Podgorica ist es mal flach, somit sollten alle Wanderbegeisterten in Montenegro schon mal auf ihre Kosten kommen. Und dabei war ich ja noch nicht mal in den großen Gebirgen, etwas was es unbedingt noch einmal nachzuholen gilt.

  1. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Montenegro_und_der_Euro
  2. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Skutarisee
  3. Ist es nicht irgendwie pervers, dass wir unterentwickelte, arme Regionen der Erde als interessant und schön finden, so dass wir da sogar urlauben wollen? Ich kann da auch durchaus von wir sprechen, denn es bin definitiv nicht nur ich, dem es so geht.

Reisezeit: November 2021

Kommentare

5 Antworten zu „Pech gehabt in Montenegro“

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    Andreas

    Ich kann mich noch deutlich erinnern, wie du geschrieben hast, dass du dich im Schotter lang gemacht hast.
    Zum Glück ist ja alles gut gegangen.
    Hoffen ein, dass das der schlimmste Unfall deiner Reise bleibt.

    Weiterhin gute Fahrt.

    1. Benutzer Icon

      Danke, ja ich hoffe dass das Thema damit jetzt abgehackt ist.

    2. Benutzer Icon
      Andreas

      P.S. Ich liebe die Autokorrektur meines Handys. … ?!

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    Christian&Isabell

    Wir fiebern mit und hoffen es war der letzte Unfall!!!
    LG
    Christian&Isabell

    1. Benutzer Icon

      Danke, das wäre mir auch das Liebste 🙂

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