Kleiner Umweg nach Tirana gefällig?
Die ersten Tage in Albanien hatte ich bei der ECO Social Farm kurz vor Shkodër übernachtet. Ein ziemlich interessanter Ort, den ich mal wieder dank Warmshowers gefunden hatte. Von dort aus sollte es weiter nach Tirana gehen – die Hauptstadt Albaniens. Mit 98 Kilometern und 400 Höhenmetern eigentlich in einem Tag machbar, zumal dazwischen nur recht flaches, sehr dicht besiedeltes Land lag. Aber ehrlich gesagt hatte ich darauf irgendwie gar keine Lust – sind so dicht besiedelte Landstriche doch meist ziemlich langweilig. Viel verlockender war dagegen die Variante mit 270 Kilometern und insgesamt rund 4200 Höhenmetern im Aufstieg – sozusagen einem kleinen Umweg durch die albanischen Berge. Besonders reizte mich dabei der Komani See, der auf einer Länge von rund 33 Kilometern nur mittels einer Fähre passiert werden konnte in Ermangelung von Straßen. Das Wetter sah für die nächsten Tage ganz gut aus, wenn es auch nicht unbedingt sehr warm werden würde. Warum sollte ich also den kurzen Weg nehmen?
Die ECO Social Farm war ein wahrer Hafen für Radreisende. Hier habe ich gleich vier andere Radler getroffen. Sabrina aus Italien fand die Idee mit der Fähre ebenso ziemlich gut und suchte sowieso noch eine Möglichkeit ihre Reise zu verlängern. Ihr eigentliches Projekt „Turino – Tirana“ war nämlich so gut wie beendet und so schloss sie sich mir an. Nachdem ich die vergangenen 100 Tage allein geradelt bin, freute ich mich mal für ein paar Tage Gesellschaft zu haben.
Ausgekotzer und von Teerschweinen zerpflügter Asphalt
An Tag eins dauerte es eine Weile bis wir so richtig Strecke machten. Wir mussten zunächst noch hier und da anhalten um Benzin zu tanken, Lebensmittel für die kommenden Tage zu kaufen, meine gerade geknackten 5000 Kilometer zelebrieren, Hundevergrämer aus Bambus schneiden. Doch irgendwann gab es keine Ausreden mehr um ständig anzuhalten und die Bergfahrt begann. Die Straße war auf den ersten Kilometern noch ziemlich gut, doch je mehr wir uns in das Hinterland kämpften, desto gruseliger wurde der Asphalt. Auf weiten Strecken wirkte es vielmehr so als hätte sich hier irgendwann mal ein Teerfass übergeben woraufhin im Anschluss mehrfach irgendwelche Viecher wildschweinartig diesen Straßenbelag umgegraben haben. Schön war das nicht zu befahren, ständig galt es irgendwelchen Löchern auszuweichen, Bodenwellen geschickt zu passieren und das mit dem voll bepackten Tier bergauf.
Na, schon die dominierende Bilddekoration entdeckt?
Als Entschädigung dafür waren die Ausblicke grandios. In meinem Reisetagebuch steht dazu: „Die Szenerie ist fantastisch, auch wenn das Wetter heute nur grau ist. Das einzige was die Fotos immer wieder ruiniert sind die vielen Stromleitungen. Die Berge um uns herum werden immer größer, dazu das schmale Tal mit dem Stausee, die recht karge Vegetation, viele Felsen und gelegentlich spartanische Siedlungen mit Eseln, Ziegen, Schweinen auf der Straße. Wow, ist das cool!“
Nach unzähligen Kurven, jeder Menge zäher Aufstiege und darauf folgender Abfahrten, zahlreichen Flüchen über die furchtbare Straße und noch viel mehr staunenden Blicken über diese ehrfurchtsvolle Landschaft hatten wir es mit einsetzender Dunkelheit tatsächlich noch bis zum Örtchen Koman geschafft. Wir zelebrierten den ersten Tag mit zwei Litern Bier aus einer Plastikflasche zu einem recht fragwürdigen Preis. Während dessen wurden wir in der Kneipe von Ratten beobachtet. Es war ein sehr spezieller Ort – Kneipe, Trödelmarkt und Lebensmittelgeschäft mit offener Gebäckauslage in einem. Geführt von einem stark gegelten Albaner in Lederjacke.
Jetzt fahrn wir übern See, übern See, …
Mit der Dragobia über den Komani See.
Am nächsten Morgen musste alles ganz schnell gehen. Gut dass wir direkt am Fähranleger übernachtet hatten. Die Fähre kam kurz vor 9 Uhr an, wurde entladen und dann strömten zahlreiche überwiegend ältere Einheimische auf das Boot. Viele hatten Taschen oder Säcke mit Lebensmitteln dabei – das Boot war hier das einzige Transportmittel. Unsere Fahrräder konnten wir über einen kleinen Steg direkt auf die Personenfähre schieben und am Rand fest machen. Wir waren scheinbar die einzigen Touristen an Bord.
Punkt neun legte die nun gut gefüllte Fähre „Dragobia“ wieder ab und wir schipperten über den Komani See. Und auch wenn es recht kalt war, ich blieb die ersten drei Stunden draußen und knipste ein Bild nach dem anderen. Mich gleichzeitig verfluchend, dass dann wieder so viel auszusortieren und nachzubearbeiten wäre aber es war einfach wunderschön. Der Stausee war meist recht schmal, links und rechts ragten steile Felswände nach oben. Hin und wieder ging mal ein Seitenarm in eines der Täler ab. Die Wolken verhüllten gelegentlich die Spitzen der Berge und gaben dem Ganzen eine tolle Stimmung. An flacheren Ufern standen herbstlich gefärbte Bäume. Von der Szenerie her war es als würden wir mit einem Boot durch einen Fjord fahren. Hin und wieder legte das Boot mitten im Nirgendwo an, Menschen gingen von Bord oder stiegen zu.
Schon allein die Fährfahrt war den Umweg wert.
Gegen 12 Uhr legte die Dragobia an der Endhaltestelle in Fierze an. Wir rollten noch ein/zwei Kilometer in das Dorf hinein, um dort nochmal einen Versorgungsstopp einzulegen: Café, Lebensmittelladen, Wasserhahn, Bäcker. Dann ging es weiter in Richtung Staubecken Nummer drei. Auf den folgenden 17 Kilometern ging es rund 700 Meter bergauf. Die in der Ferne auftauchenden schrägen Striche in der Landschaft förderten nicht gerade meine Motivation – dort musste wohl die Straße verlaufen auf der wir irgendwann lang radeln kriechen würden. Kurve um Kurve zog es sich, immer wieder tauchten neue Serpentinen auf. Einmal oben angekommen, sind die Strapazen jedoch meist schnell wieder vergessen. Sabrina und ich waren uns einig: Die Landschaft sah zwar unglaublich rau aus, der Himmel war grau, überall ragten Hochspannungsmasten hervor aber irgendwie war es doch wunderschön.
Gegen halb vier fanden wir ein ebenes Fleckchen an einem Hochspannungsmast und beschlossen dort zu bleiben. In einer halben Stunde sollte es bereits dämmern. Wir sammelten Holz für ein Lagerfeuer, stellten die Zelte auf und kochten über dem Feuer unser wohlverdientes Abendessen.
Und es geht wieder bergauf.
Die Sonne scheint – nur nicht für uns
Zur Mittagspause ein Panorama-Blick? Kein Problem!
Noch halb im Schlaf hörte ich einen periodisch immer wieder lauter und leiser werdenden, rhythmischen Bass. Er kam aus einem Fahrzeug, welches sich so wie wir am Tag zu vor, Kurve um Kurve an den zahlreichen kleinen Bergrücken abarbeitete. Es war ein wie ein Wecker im Snooze Modus mit albanischem Folk als Weckton. Als ich mich aus dem Schlafsack raus schälte, war es eisig kalt. Aber gut, es war Mitte November und wir befanden uns in den albanischen Bergen. Der Himmel sah zumindest so aus, als könnte sich an diesem Tag mal die Sonne blicken lassen. Frühstück, Zelt abbauen, zusammenpacken und dann wieder aufs Rad.
Es rollte ziemlich gut in der ersten Hälfte des Tages, den großen Anstieg hatten wir bereits am Vortag hinter uns gelassen. Auch war die Straßenqualität ziemlich gut im Vergleich zu Tag eins. Die Straße zog sich wieder Kurve um Kurve, einen Bergrücken um den nächsten herum, das Höhenniveau jedoch im Wesentlichen beibehaltend. Eine Weile ging es noch entlang des Staubeckens Nummer drei, bis wir irgendwann den Fluss Drini mit seinen Stauseen verließen. Auch die Sonne schien – die Wolken hatten sich so gut wie verzogen. Nur verlief unsere Route unglücklicherweise die meiste Zeit im Schatten des Bergrückens. Meine Hände verwandelten sich mit der Zeit immer mehr in Eisklumpen. Als gegen Mittag ein Hotel auftauchte, stoppten wir für einen Kaffee und wärmten uns im gut beheizten Gastraum auf. Das Hotel wirkte wie von einem anderen Planeten – alles war sehr schick und sauber, wir hätten uns ebenso gut in einem Österreichischen Bergrestaurant befinden können.
Ein Tag an dem wir die Welt von oben betrachteten.
Kurz vor 15 Uhr Stopp an einem Bergbach zum Auffüllen der Wasservorräte. Vor uns lag noch ein letzter großer Anstieg, den wir gerne noch an diesem Tag schaffen wollten, auch wenn die Luft schon etwas raus war. Eine dreiviertel Stunde später jedoch war auch dieser Pass bezwungen und wir konnten uns nun einfach nur noch rollen lassen. Kurz vor Fushë-Arrëz bauten wir an einem Bach unsere Zelte auf. Das Wasser hätten wir also nicht über den Pass schleppen müssen.
Auf der Suche nach Wasser
Im Sonnenschein auf gelecktem Asphalt gleitet man förmlich bergauf.
Am vierten Morgen gab es statt albanischem Folk Hundegebell von mindestens drei ungebetenen Gästen. Es wurde immer lauter bis auf einmal eines der Viecher sogar auf oder an mein Zelt sprang. Verdammt saß ich auf einmal senkrecht da und brüllte los. Die Köter verzogen sich glücklicherweise wieder, es schienen Jagdhunde zu sein und keine ihr Revier verteidigenden Plagen.
Von unserem Zeltplatz bis nach Fushë-Arrëz waren es keine fünf Kilometer. In der kleinen Stadt angekommen waren wir sehr über das rege Treiben erstaunt. Auf einmal wieder so viele Menschen, das hatten wir nicht erwartet. Viele starrten uns an – Radreisende waren hier vermutlich seltener unterwegs. Wie schon zwei Tage zu vor nutzen wir die Gunst der Zivilisation und füllten unsrer Lebensmittelvorräte wieder etwas auf. Dann noch ein Stopp in einem Café bevor es wieder weiter ging.
Die Straßen waren nun breiter und es gab etwas mehr Verkehr als die Tage zuvor, trotzdem waren wir die meiste Zeit allein. Auch landschaftlich gab es nun eine Veränderung – die schroffen, karg bewachsenen und mächtig wirkenden Berge hatten wir scheinbar verlassen. Wir befanden uns viel mehr in einer Mittelgebirgslandschaft mit dicht bewaldeten Bergrücken, die von weiten wie lauter große Hügel aussahen. Höhenmeter gab es aber trotzdem zur genüge und so kämpften wir uns von einer Rampe zur nächsten.
Angenehmer Sonnenschein an Tag vier.
Als es Nachmittag wurde begann ich immer wieder nach Wasser Ausschau zu halten aber diesmal sah es echt schlecht aus. Es wurde immer später und später aber die Bachläufe waren ausgetrocknet, ein Dorf welches wir passierten war verlassen. Irgendwann tauchten wieder ein paar Häuser auf und wir erhielten von den Menschen dort einen dreiviertel Liter Wasser. Das war jedoch zu wenig. Ein paar Kilometer weiter standen wieder ein paar Häuser und davor waren auch zwei Personen zu sehen. Volltreffer. Der freundliche Herr sprach sogar Englisch und füllte uns bereitwillig unsere Flaschen auf. Als dann die übliche Frage nach unserer Nationalität aufploppte, war es mit Englisch vorbei, denn er sprach fließend Italienisch. Ein paar Minuten später lud er uns ein über Nacht zu bleiben.
Wie unglaublich freundlich die Menschen doch sind. Wir hatten einen gemütlichen Abend bei Roberto und seiner Mutter Ruta, die er gerade hier auf dem Land besuchte. Es gab Kaffee, Wein und es wurde gekocht. Sabrina und Roberto haben sich lange unterhalten, eine Übersetzung ins Englische gab es für mich leider nur manchmal. Italienisch steht aber trotzdem nicht auf meiner Liste zu lernender Sprachen. Vielen Dank Ruta und Roberto!
Mit dem Rad durch das dichte Verkehrschaos
Der letzte Tag unserer Runde nach Tirana war streckenmäßig mit rund 85 Kilometern der längste, dafür waren aber kaum noch fiese Höhenmeter zu überwinden. Es rollte ziemlich gut. Anfangs noch bergab die letzten Kilometer durch ein Tal wobei die Dörfer immer dichter beieinander lagen und immer größer wurden. Dann kamen wir in der Tiefebene in der Nähe der Stadt Laç an. Hier waren es nicht mehr nur Dörfer sondern Städte und je näher wir Tirana kamen, desto dichter waren auch diese Städte aneinander. Das Navi war der Meinung uns an einer super dicken Hauptstraße entlang schicken zu müssen, der Verkehr war einfach nur anstrengend. Trotzdem konnten wir ganz gut Strecke machen.
Sabrina wollte gern am Ortseingangsschild von Tirana ein Bild knipsen, schließlich war ihr Reiseprojekt „Turino – Tirana“ nun beendet, doch entweder haben wir es übersehen oder es war schlicht weg nicht vorhanden. Wann genau wir uns eigentlich in Tirana befunden haben wissen wir auch nicht, die Bebauung und der Verkehr wurden immer dichter, irgendwann richtig zähfließend. Dank der Fahrräder konnten wir uns meist ganz gut an verstopften Stellen vorbei mogeln, aber auch das gelang nicht immer.
Yeah, geschafft!
Trotzdem hatten wir es am Nachmittag geschafft. Nach fünf Tagen durch wunderschöne einsame Regionen Albaniens waren wir im hektischen Tirana angekommen. Es gab grandiose Ausblicke auf unzählige Gebirgszüge – immer wieder dekoriert mit „elektrotechnischer Baukunst“, raue und karge felsige Landschaften, grüne dicht bewachsene Wälder und nicht zu vergessen die spektakuläre Fahrt mit der Dragobia über den Komani See. Es war schön diese Momente des Staunens mal mit jemandem direkt teilen zu können – danke Sabrina für die Gesellschaft!
Reisezeit: November 2021
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