Es ist wettertechnisch ein wechselhafter Tag. Ich bin mal mit dem Wecker aufgestanden, um noch alles vor dem angekündigten Regen gepackt zu haben – hat sogar so halb funktioniert: Das Zelt ist schön trocken verstaut, nur der Porridge muss im Regen verspeist werden. Doch der hört wieder auf, als das Frühstück beendet ist. Es rollt gut, ich sauge die Landschaft mit meinen Augen auf, halte hin und wieder an um die Kamera zu zücken. Mittagspause dann in einer Stadt vor einem Supermarkt um die letzten Reste aus den Taschen noch leer zu kriegen. Dann wird eingekauft für die nächsten drei/vier Tage, das Einpacken erinnert dann etwas an Tetris. Weiter geht es bis an einen öffentlichen Wasserhahn (großartige Einrichtung, Deutschland nimm dir ein Beispiel!). Als die drei Flaschen voll sind, kommt noch der Wassersack dran. Der Himmel sieht nun aus, als würde gleich ein kräftiger Guss kommen – nochmal schnell ein paar Dinge umpacken, um das ganze Setup möglichst wasserdicht zu bekommen, bei dem vielen Essen gar nicht so einfach. Und schon geht es los – dankenswerterweise befindet sich gleich in der Nähe ein Buswartehäuschen, so dass ich den ersten großen Schauer noch abwarten kann.
Als der Schauer vorbei ist, rolle ich endlich weiter. Es ist mittlerweile kurz vor 16 Uhr, in zwei Stunden wird es dunkel. Vor mir liegen noch rund 22 Kilometer und 800 Höhenmeter, leider nicht schön gleichmäßig auf die Strecke verteilt und Offroad wird’s vermutlich auch noch. Schnell lässt der dichte Verkehr der Stadt nach, schon bald bin ich meist ganz allein auf der kleinen Straße. Es geht mal wieder in die Berge. Mit dem ersten Anstieg setzt der Regen wieder ein – egal, weiter jetzt, es wird bald dunkel. Der Regen wird stärker, ich halte doch noch hinter einer Kurve an, überlege die Regenhose anzuziehen, esse aber erst mal zur Motivation eine Apfeltasche im Schutze eines kleinen Pinienhains. Dann sehe ich ein kleines Stückchen eines Regenbogens am Himmel – na also, die Sonne will also doch noch mal mitspielen. Weiter gehts ohne Regenhose, bin eh schon nass und bald hört der Regen dann auch endgültig auf, genauso wie der schöne Asphalt. Doch der Weg ist noch immer sehr gut fahrbar. Die untergehende Sonne leuchtet die vor mir liegenden Bergketten die mittlerweile aufgetaucht sind schön an – ein traumhafter Anblick. Es dauert nicht mehr lange, bis das letzte Tageslicht ganz verschwunden ist. Die Strecke ist mittlerweile so steil, dass ich schieben muss, dank des Regens gibt es einige matschige Passagen, so dass das Rad und die Taschen schon nach kurzer Zeit komplett versifft sind. Um die Reifen herum dreht ein schöne dicke Schlammschicht mit, bei jeder Bewegung streift sich dabei immer etwas von der Pampe an den Schutzblechen oder der Gabel ab, doch die Reifen greifen gleich wieder nach neuem klebrigen Material. Aber es sind nur noch sechs Kilometer.
Der bis auf den Matsch eigentlich ganz gute Fahrweg zweigt dann leider ab, mein neuer Weg war wohl mal ein Fahrweg und gleicht eher dem was ich aus dem Armenischen Hinterland kenne: Es ist verdammt steil und verblockt. Das Schieben macht hier echt keinen Spaß mehr – mit dem Ganzen Essen und dem Wasser ist es schon eine ganz schöne Last.. Und dann sehe ich auch nicht so viel. So langsam wie es voran geht, schafft es der Dynamo leider nicht genügend Strom für eine gute Ausleuchtung des Weges zu sorgen und die Stirnlampe ist viel zu weit weg gepackt. Links von mir erahne ich eine riesige Felswand, rechts wird es vermutlich ziemlich steil runter gehen – ich bin echt gespannt das Ganze auf dem Rückweg bei Tageslicht zu sehen.
Doch dann hört die Steigung auf – yes! Nur noch zwei Kilometer die ich nun teilweise fahre aber dann immer wieder teilweise schiebe, da der Weg einfach zu verblockt ist. So im Dunkeln muss das ja nicht unbedingt sein. Auf den letzten Metern geht es nochmal bergauf, boah das zerrt. Doch dann ist es endlich geschafft, knapp zwei Stunden nach Sonnenuntergang. Und der Plan geht voll auf. Ich stehe vor einer unbewirtschafteten Hütte für Wanderer, die Hütte ist nicht verschlossen, es ist niemand da, drinnen ist es spürbar wärmer als draußen und es herrscht eine wunderbare Stille – ein Traum. Wasser scheint es wie erwartet nicht zu geben aber ich habe genug dabei für die nächsten drei Tage. Zum Abendbrot gibt es Tee, eine Tafel Schokolade, belegtes Brot und ein paar Karotten – zum Kochen fehlt mir die Kraft.
Am nächsten Morgen ist es stockdunkel in der Hütte, die Fensterläden sind noch verschlossen. Als ich vor die Hütte trete übermannt mich ein starkes Glücksgefühl – der Ausblick durch die Schneide des Fahrwegs ist großartig. In der Ferne sehe ich mehrere Lagen von Bergketten mit schroffen Felskanten recht deutlich in einem cremigen Morgenlicht. Nach ein paar Metern entlang eines kleinen Pfades in die andere Richtung taucht ein ebenso spektakuläres Panorama vor mir auf, hier stehe ich sogar am Rande einer großen Felskante. Von hier aus lässt sich erahnen, wo ich gestern Abend umhergeirrt bin. Es ist wirklich atemberaubend in solch einer Umgebung aufzuwachen, vielleicht gerade nach dem etwas fordernden Weg gestern.
Nach dem Frühstück geht es mit der Lenkertasche und etwas Wasser los zu einer kleinen Wanderung – auf der Karte war ganz in der Nähe der Hütte eine Höhle verzeichnet, zu der es über einen Wanderweg unterhalb der Felskante geht. Der Weg erweist sich als unerwartet anspruchsvoll. Es ist ein steiler Pfad über teilweise loses Geröll und manchmal muss er auch etwas gesucht werden. Doch es ist wunderschön – die Ausblicke sind jeden Schritt wert. Da ist zum einen die weite Ebene unten vor dem Bergmassiv mit den winzig erscheinenden Siedlungen, dann die ganzen einzigartig geformten Berge die zu einem Teil dicht bewachsen sind und dann auch wiederum eine Schroffe Felskante haben. Order direkt vor mir die Vegetation: Es sind so viele verschiedene kleine Pflanzen, Sträucher, Büsche und Bäume wie es sie so daheim nicht gibt – die Pyrenäen sind halt klimatisch ein anderes Ding. Mein Auge kann sich gar nicht satt sehen, ständig knipst die Kamera. Der Weg schlängelt sich wie eine Art Band unterhalb einer riesigen Felswand direkt an deren Fuß entlang. Es gibt immer mal wieder kleine Kletterpassagen, steile Abschnitte mit losem Grund, nicht unbedingt das beste Terrain für Klickschuhe aber nunja. Das ganze erinnert mich in Teilen an ein paar „verbotene“ Wege in der Sächsischen Schweiz, spätestens als es an ein paar durchaus als Boofe geeigneten Felsüberhängen vorbei geht kommt mir das in den Sinn.
Der Weg zieht sich und irgendwie scheint die anvisierte Höhle doch nicht gleich ums Eck von der Hütte zu sein. Nach kurzem Überlegen drehe ich um und gehe zurück – werde das Ganze morgen nochmal mit Rucksack und etwas Proviant im Gepäck probieren. Wieder zurück ist es schon längst Zeit fürs Mittag, zumindest mein Magen ist dieser Meinung. Der Nachmittag vergeht mit Feuerholz sammeln, Fahrrad entschlammen, Guilele spielen.
Es wird niemand mehr vorbei kommen, es ist ein Tag an dem ich keinem anderen Menschen begegnet bin und nur die Natur um mich herum genießen konnte. Es war perfekt. Mit etwas Glück wird es morgen nochmal so ein eremitischer Tag – manchmal tut das ganz gut.
Tage wie diese erfüllen mich mit einem unglaublichen Glücks- und Freiheitsgefühl. Auch wegen Tagen wie diesen bin ich auf diese Reise aufgebrochen. Es ist ein Genuss. Und ja, es ist eines der krassesten Privilegien überhaupt sich diesem Genuss so hingeben zu können.
Reisezeit: Oktober 2023
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