Novemberbild: Blütenpracht in der Salzwüste.
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Nach einer Woche in La Paz hievte ich das bepackte Rad die Treppen zu den Gondeln der Seilbahn hinauf. Dieser kleine schweißtreibende Aufwand war allemal besser als das langwierige, noch wesentlich schweißtreibendere Hinaufkurbeln durch den dichten Verkehr der bolivianischen Großstadt, zurück in die Hochebene des Altiplanos. Es war ein toller Ausblick aus der Gondel auf die Stadt, doch insgeheim freue ich mich nun endlich wieder hinaus in die Natur zu kommen. Mein Ziel war der Salar de Uyuni, der größte Salzsee der Erde. Schon seit Wochen erzählte ich allen Menschen, die mir begegneten, dass ich den Salar unbedingt noch vor Einsetzen der Regensaison erreichen wollte, denn nur dann ist es möglich, diesen mit dem Fahrrad zu überqueren und auf ihm zu kampieren. Hier und da habe ich sogar ein paar interessante Punkte entlang der Route ausgelassen, um ja noch rechtzeitig im Südwesten Boliviens anzukommen.
Der Salar de Uyuni ist einer dieser Orte, von denen ich schon seit Ewigkeiten geträumt habe, genau genommen seit Februar 2017. Es waren gerade Winterferien und wenn ich auch schon die erste kleine Wanderung nach einem Schien- und Wadenbeinbruch im Sommer zuvor gemeistert hatte, so richtig mobil war ich noch nicht – es war frustrierend. Der YouTube-Algorithmus präsentierte mir ein Video von Bens KombiLife Kanal, in dem er seine Reise in einem Van von Chile nach Alaska dokumentiert. Ich war völlig fasziniert und habe Bens komplette Serie in einem Zug weg gebingt. Das war der Moment, als sich Lateinamerika für mich als Reiseziel auftat – Bens Abenteuer sahen großartig aus. In seinen Videos tauchten immer wieder Szenen vom Salar de Uyuni in den Intros auf, nicht ohne Grund, denn es ist schon ein sehr spezielles Fleckchen Erde. Mit der noch absolut präsenten Erfahrung des Beinbruchs war klar: Wann, wenn nicht jetzt – man ist so schnell in der Lage, etwas nicht mehr zu können, besser es also jetzt zu machen! Ich meldete mich für einen Spanischkurs an der Volkshochschule an und begann für eine große Reise mit einem Van zu recherchieren. Bis es jedoch losgehen sollte, kam noch jede Menge Leben dazwischen. Das Begehren nach Lateinamerika und Orten wie dem Salar de Uyuni verschwand aber nie.
Mittlerweile war (und bin) ich in Lateinamerika unterwegs – allerdings nicht mit einem Van, sondern mit einem Fahrrad – eine großartige Art zu Reisen. Und nun waren es nur noch fünf bis sechs Tage, bis ich den Salar endlich erreichen sollte; ich war wirklich etwas aufgeregt.
An der Bergstation der Seilbahn angekommen, trank ich noch einen Kaffee, kaufte für das Mittagessen ein paar Empanadas und rollte schließlich los. Die Großstadt lag schnell hinter mir, die asphaltierte Straße hatte einen guten Seitenstreifen und der Verkehr hielt sich in Grenzen. Der große Vorteil des Altiplanos liegt darin, dass es im Wesentlichen eine riesige flache Hochebene ist – die zu überwindenden Höhenmeter halten sich also in Grenzen, man kann gut Strecke machen. Von einigen Radlern hatte ich gehört, dass das Altiplano wegen des vielen Flachlands recht langweilig sein soll, doch dem war ganz und gar nicht so. Zum einen ist diese Umgebung schon durch ihre durchschnittliche Höhe von 3700 Metern über dem Meeresspiegel ziemlich speziell und zum anderen sieht man die ganze Zeit verschiedenste Berge. Mal sind diese näher und mal befinden sie sich ganz am Ende einer riesigen weiten kargen Fläche – die Abwechslung ist riesig und damit die Anzahl an Fotomotiven groß. Wer Bäume sucht, findet diese allerdings nur in Siedlungen, denn die weiten Ebenen sowie die oftmals hügelig wirkenden Berghänge sind baumlos und nur von ziemlich stacheligem Gras oder anderen stachelnden niedrigen Pflanzen bewachsen. Es ist ein Gebiet, in dem es mehr Lamas als Menschen gibt; die Lamaherden werden von den Hirtinnen und Hirten morgens hinaus zum Weiden getrieben, um am späten Nachmittag wieder zurückzukehren. Hin und wieder gibt es auch ein paar Ackerflächen zu sehen, ich vermute, dass diese dem Quinoa-Anbau dienen.
Am ersten Tag, als es aus La Paz heraus ging, hingen ab dem späten Mittag in den westlichen Gebirgszügen dicke, dunkle Regenwolken – ab und zu sah ich es auch blitzen. Sollte es nun also schon zu spät sein für den Salar? Ich hoffte, dass es einfach nur ein kurzes, lokales Gewitter war, suchte mir aber zur Sicherheit einen geschützten Campspot unter einer breiten Brücke. Tags darauf erwischte mich dann am Abend der Regen, als ich nach Oruro hineinrollte. So richtig heftig begann es aber erst genau dann zu schütten, als ich an meiner Unterkunft ankam.
Am nächsten Morgen standen in der Stadt Oruro riesige Pfützen, der Himmel war tiefdunkel und der Wind kam von vorn. Schon nach den ersten Kilometern hielt ich an einer Bushaltestelle an, um nach einer möglichen Unterkunft zu schauen. Nach gut dreißig Kilometern sollte es in Machacamarca zwei Optionen geben – eine Strecke, die sich notfalls auch im Regen meistern ließe. Es folgte eine mehrere Kilometer lange Baustelle: Offroad und dank des Regens extrem matschig. Normalerweise kein großes Problem, doch es gab recht viel Verkehr, sodass ich von der Seite immer wieder einen Sprühregen mit feinstem Matsch abbekam. Zwar gaben sich die meisten Autofahrer Mühe und hielten gut Abstand, doch leider waren immer wieder auch ein paar absolut rücksichtslose Idioten dabei, die mich scheinbar unbedingt mit Schlamm glasieren mussten – mein Mittelfinger lief zur Hochform auf. Irgendwann war Machacamarca erreicht, ich beschloss, es für den Tag sein zu lassen, wusch in der Unterkunft die Wäsche sowie sämtliche Taschen. Die Schlammschicht am Rad war eigentlich ganz gut als Schutz vor dem Salz, falls es mit dem Salar doch noch etwas werden sollte.
Der folgende Tag begann mit Regen; bis ich abfahrbereit war, hatte dieser sich glücklicherweise wieder gelegt. Doch auch wenn die Regenwolken noch tief in den umliegenden Bergen hingen und es wahrscheinlich nicht den Rest des Tages trocken bleiben würde – meine Stimmung drehte komplett auf. Die Wolken in den Bergen, das stehende Wasser in den Ebenen um mich herum – es sah alles so grandios schön aus. Ständig musste ich anhalten und ein Bild nach dem anderen knipsen, wenn es dann wieder weiter ging, trat ich nur so voller Kraft in die Pedalen, sang laut zur Musik mit oder setzte zu Sinuskurven mit dem Rad an. Da war sie: Die Magie des Altiplanos. Die Landschaft hatte mich vollkommen in Trance versetzt, es war ein absoluter Genuss, da lang zu rollen und die Umgebung in mich hinein zu saugen. Auch diesen Tag beendete ich dann ganz knapp vor dem Einsetzen des großen Regengusses in einer Unterkunft in der nächsten Stadt.
Bis zum Salar de Uyuni waren es nun nur noch 175 Kilometer, doch auch am fünften Tag nach La Paz sah es nach Regen aus. Der See würde vermutlich nur ein bisschen nass sein, irgendwie würde das mit der Überquerung schon klappen. Doch dann meinte es das Wetter tatsächlich gut, denn bis auf einen kurzen Schauer blieb es trocken. Nach dem Abzweig in Richtung Salinas de Garci Mendoza wurde es wunderbar ruhig. Die ohnehin schon spärlich besiedelte Landschaft war dort noch unbewohnter, wenn es mal an einer Siedlung vorbei ging, wirkte diese wie verlassen. Die Grasbüschel begannen nun etwas weiter auseinander zu stehen, dazwischen gab es viel Sand – es wurde wüstenhafter.
Nach einer trockenen Nacht kroch ich aus dem Zelt und genoss bei bestem Sonnenschein den Ausblick auf den Vulkankrater, an dessen Rand ich das Zelt aufgeschlagen hatte. Im Hintergrund thronte der mächtige Vulkan Tunupa mit seinen 5432 Metern. Und genau hinter diesem Riesen lag der Salar de Uyuini – bis zum „Ufer“ sollte ich es an diesem Tag nun mindestens schaffen. Die 35 Kilometer bis nach Salinas de Garci Mendoza waren schnell geschafft, von da an ging es Offroad und damit wesentlich langsamer voran. Doch wie fast immer war auch diese Offroad-Piste ein Garant für noch schönere Landschaften. Die letzten Kilometer um den Tunupa herum waren geprägt von einigen kurzen Anstiegen auf sandigem oder waschbrettartigem Untergrund. Hinter jeder Kurve erhoffte ich endlich einen Ausblick auf den Salar zu bekommen, doch es wurden immer mehr und mehr Kurven, bis er dann endlich vor mir lag – der Salar de Uyuni. Woah! Was für ein Anblick. Eine riesige weiße Ebene, die bis zum Horizont reichte und auf der in weiter Entfernung kleine Inseln zu sehen waren. Ich war endlich da!
Wow, da ist er – der Salar de Uyuni!
Schnell rollte ich in das kleine Dorf Tahua hinunter, um ordentlich Wasser zu tanken und noch ein paar Lebensmittel zu organisieren. Dummerweise gab es in den Läden kein Brot, eine Verkäuferin sagte mir jedoch, dass es 17 Uhr welches am zentralen Platz geben würde. Etwas frustriert wartete ich und konnte dann tatsächlich knapp nach 17 Uhr Brot kaufen. Kurz vor 19 Uhr würde die Sonne untergehen und wo ich es nun schon bis zum „Eingang“ des Salars geschafft hatte, wollte ich auch die erste Nacht auf ihm verbringen. Die nächstgelegene Insel war die Mogli-Insel, 26 Kilometer von Tahua entfernt. Auf gutem Asphalt wäre das locker schaffbar, wie es sich auf der Salzkruste fahren würde, wusste ich aber noch nicht. Vollkommen optimistisch, es knapp mit dem Sonnenuntergang zu schaffen, rollte ich los.
Vom Ufer des Salzsees ging es über einen kurzen Damm auf die Kruste des Sees. Die ersten paar Meter waren mit ein paar Pfützen gespickt, danach war die Oberfläche des Sees komplett trocken – yes, ich hatte das Rennen gegen den Regen gewonnen! Die Oberfläche der absolut ebenen Salzkruste ist mit einem wabenartigen Netz aus ungefähr fünf bis zehn Zentimeter hohen Salzrändern überzogen. Das Fahren über diese Salzränder sorgte für einen leichten Widerstand und ein intensives Knirschen. Doch es gab auch Fahrspuren motorisierter Fahrzeuge – da waren die Ränder bereits platt gefahren, sodass das Rad da einfacher rollte. Womit ich jedoch nicht gerechnet hatte, war der Wind. Dieser blies volle Kanne von der Seite, der Tacho zeigte nicht mehr als 7 oder 8 km/h an. Die Zeit verstrich, doch die vor mir liegende Insel kam und kam nicht näher und auch das Festland hinter mir schien nur äußerst langsam „kleiner“ zu werden. Die Sonne ging ziemlich malerisch unter, aber so richtig genießen konnte ich das nicht. Der Wind prasselte weiter auf mich ein und es war noch verdammt weit. Anzuhalten und das Zelt direkt auf der Salzkruste aufzustellen, war bei dieser Windstärke keine Option. So fuhr ich weiter und weiter in die Dämmerung hinein, bis es irgendwann komplett dunkel war. Von der Insel am Horizont war nichts mehr zu sehen, die Fahrspuren verliefen sich hin und wieder, irgendwann tauchten wieder andere auf. Die Navigation glich einem Computerspiel, bei dem ich versuchte, das kleine Dreieck auf dem Navi immer schön geradeaus zu halten – ohne das Navi hätte es nur den Wind zur Orientierung gegeben. Gegen halb zehn war die Mogli-Insel nach vier Stunden Fahrt auf der Salzkruste endlich erreicht. Auf der Insel gab es eine Höhle (im Sächsischen eher Boofe), in der es komplett windstill war – der perfekte Campspot. Aufgrund der kühlen Temperaturen stellte ich darin das Zelt auf, kochte etwas Pasta und kroch danach völlig fertig in den Schlafsack.
Doch so anstrengend es auch gewesen ist, am nächsten Morgen auf der Insel in absoluter Stille und völliger Einsamkeit aufzuwachen, war es auf jeden Fall wert. Schon vom Zelt aus sah ich die gleißend helle Oberfläche des Sees, eingerahmt von den Felsen der Höhle – was für ein Ausblick. Der Himmel war völlig wolkenfrei, ohne Sonnenbrille war es durch die schneeweiße Salzkruste nicht auszuhalten, der Wind hatte sich gelegt. Nach dem Frühstück rollte ich zur Isla Tortuga gleich nebenan, auf der zahlreiche gigantische Leucostele atacamensis Kakteen wachsen. Die bis zu zehn Meter hohen Riesen standen gerade in Blüte und gaben vor der weißen Kulisse des Salars mit dem Tunupa Vulkan im Hintergrund ein surreales Bild ab. Ganz allein war ich dort jedoch nicht, zwischen dem schroffen vulkanischen Gestein huschte ein Bergviscacha herum. Ungefähr zwei Kilometer weiter lag die recht große Isla del Pescado, zu Deutsch Fischinsel. Fische schwammen da zwar nicht herum, doch dafür gab es schon fast einen Wald der riesigen Kakteen zu bestaunen.
Ich rollte gute 20 Kilometer weiter zur Isla Incahuasi, dem Touristenmittelpunkt des ganzen Salars. Dort war nichts mehr mit Einsamkeit, ein Jeep parkte neben dem anderen, kleine Touristengruppen picknickten auf Plastikstühlen unter Sonnenschirmen in naher Entfernung zur Insel auf der Salzoberfläche. Es wirkte so einladend, dass ich gleich weiter radelte. Doch der Abschnitt der nun kommen sollte, hatte es in sich, denn bis zum „Festland“ waren es noch 70 Kilometer. Und diesmal gab es keine rettende Insel dazwischen. Den ursprünglichen Plan, eine Nacht auf der Salzkruste zu kampieren, hatte ich nach dem erbarmungslosen Windgetöse vom Tag zuvor dem Zelt zuliebe verworfen. Auch hatte der Wind langsam begonnen wieder zu wehen, doch da die Route inzwischen in eine andere Richtung zeigte, kam er diesmal von hinten. Der Tacho zeigte jetzt Werte zwischen 25 und 33 km/h an – so gefiel mir das Radeln über den Salar gleich viel besser. Speziell war auf diesem Abschnitt der Ausblick: Er veränderte sich so gut wie gar nicht. Ich fuhr und fuhr, aber um mich herum war es in allen Richtungen kilometerweit nur weiß und gleißend hell, die Bergkette des Ostufers kam nur extrem langsam näher. Immer wieder ertappte ich mich dabei, wie mein Gehirn meinte, auf spiegelglattem Eis zu fahren – dass die Oberfläche rau und nicht rutschig war, ließ sich meinem Kopf einfach nicht auf Dauer beibringen. Es ist faszinierend, wie fest Gefahren in unserem Gehirn verankert sind.
Am Ostufer bei Colchani angekommen, stellte ich das Zelt am Rande des Salars auf und konnte so doch noch einen Sonnenuntergang in Ruhe an der Salzwüste genießen. Was für eine großartige Umgebung, und nun hatte ich sie selbst erfahren.
Danke Ben für die Inspiration durch deine großartigen Videos! Keine Ahnung, ob ich ohne diese Anregung auf dieser Reise wäre, die nun schon über drei Jahre andauert.
Reisezeit: November 2024
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