Einmal Vulkanausbruch bitte

Mit dem Vulkan El Fuego hat Guatemala ein absolut einzigartiges und extrem beeindruckendes Naturschauspiel zu bieten. Es ist eine der Touristenattraktionen des Landes schlecht hin und das nicht ohne Grund. Wenn ich auch gern mal einen Bogen um die angeblich beste Kathedrale oder das schönste Schloss eines Landes schlage – bei außergewöhnlichen Natur-Attraktionen fällt mir das schwer. Und so war auch ich einer von hunderten Touristen, die pro Woche den knapp 4000 Meter hohen Acatenango bestiegen, etwas unterhalb des Gipfels übernachteten, um dann dem benachbarten El Fuego bei seinen kontinuierlichen Ausbrüchen zuzuschauen.

Aufstieg ins Wolkenmeer

Ich weilte in Guatemala Stadt – die gebrochene Felge wurde ausgetauscht – als in einer der WhatsApp-Gruppen für Radreisende Steve nach einem Wandergefährten für die Acatenango-Tour fragte. Wir verständigten uns und beschlossen das Ganze in der kommenden Woche in Angriff zu nehmen. Als das Tier wieder rollte, ging es in einer kurzen Radeletappe über einen Pass in das benachbarte Antigua, die einstige Hauptstadt Zentralamerikas unter der spanischen Herrschaft. Dort nistete ich mich genau wie Steve bei Thomas, einem Warmshowers Host, ein und tags darauf ging es los in Richtung des Vulkans.

Nach einem gemütlichen Frühstück mit Thomas liefen wir hinunter in die Stadt, besorgten noch etwas Süßkram, Wasser sowie ein frisch gebackenes Bananenbrot. Am zentralen Busbahnhof in Antigua stiegen wir in einen Chickenbus in Richtung Chimaltenango und fuhren für einen absoluten Spotpreis bis nach Parramos. Dort angekommen, dauerte es nicht lange bis der nächste Chickenbus kam, diesmal ging es nach la-Soledad – eine kleine Straßenkreuzung an der auch der Wanderweg hoch auf den Acatenango beginnt. Nach zwei Stunden Anreise per Bus befanden wir uns schon mal 1000 Meter höher als Antigua, auf knapp über 2400 Metern Höhe. Es war kurz nach 11 Uhr, an der Bushaltestelle war es wunderbar ruhig. Als wir das leckere Bananenbrot auspackten, um das Rucksackgewicht etwas zu optimieren, gesellte sich ein große Augen machender Vierbeiner dazu. So wohlwollend sein Hilfsangebot auch war – ganz so stark wollten wir das Gewicht dann doch noch nicht reduzieren, wo bleibt denn sonst die Herausforderung?

Weitere Gründe den Aufstieg hinauszuzögern gab es nun nicht mehr, wir legten also los. Schon auf den ersten Metern war der Anstieg ziemlich steil, der Untergrund voll mit losem Vulkangeröll, aber dank der leichten Bewölkung wurden wir wenigstens nicht von der Sonne gebraten. Links und rechts des meist recht schmalen Weges befanden sich landwirtschaftlich genutzte Flächen, oftmals mit Mais bestellt. Der Boden dürfte dank des Vulkans schön fruchtbar sein, dafür aber die Arbeit in dieser Steillage um so härter. Wir kamen an einer Art kleinem Gehöft vorbei, das mit Restaurant und kleinem Büdchen recht touristisch ausgebaut war und gelangten kurz danach in die bewaldete Zone. Dort hieß es zunächst einmal „Bitte Zahlen“ – die Gemeinde erhebt pro Wanderer 50 Quetzales. Weiter oberhalb gibt es eine Weggabelung, an der man sich entscheiden kann rechts- oder links um den Acatenango herum hinauf zu steigen. Auf dem linken Weg geht es wohl in eine andere Gemeinde, die dann auch nochmal die Hand aufhält. Wir entschieden uns für die Westseite, da auch unser anvisierter Campspot auf dieser Seite lag.

Der Weg durch den Wald war wunderschön: Die Laubbäume waren komplett mit Moos bepackt und zeigten keineswegs immer gerade gen Himmel, dazwischen wuchsen Farne und jede Menge anderes saftiges Grün. Hin und wieder gab es eine Art kleines Fenster durch die Vegetation in Richtung Umland, dank der vielen Wolken hielt sich der Ausblick jedoch in Grenzen. Der Weg war noch immer recht staubig und steil, aber nicht mehr mit dichtem Geröll bepackt und damit wesentlich einfacher zu begehen. Irgendwann wichen die Laubbäume und das dichte Grün dem nun folgenden wesentlich offeneren Kiefernwald mit Grasbewuchs am Boden. Gleichzeitig erreichten wir damit auch die Wolken, welche in die Kiefern hinein zogen und dem Ganzen eine mystische Stimmung gaben. Doch je weiter höher es ging, desto lichter wurden auch die Kiefern – das Gras konnte sich nur noch auf kleinen Inseln auf den Aschefeldern des Vulkans halten und hin und wieder ging es nun auch über ein paar größere Gesteinsbrocken auf dem Weg.

So schön die Wolkenstimmung auch war, eigentlich waren wir ja aber für den Ausblick auf den benachbarten El Fuego gekommen. Wir begannen uns zu fragen, ob wir den passenden Tag gewählt hatten, hielten aber trotzdem an unserem Plan da oben das Zelt aufzustellen fest. Den von Thomas empfohlenen Platz zum Kampieren hatten wir schließlich erreicht und für ein paar Sekunden zeigte sich sogar El Fuego in einem kleinen Wolkenfenster. Wenn es also noch aufklaren würde, so hätten wir zumindest schon mal den passenden Aussichtspunkt direkt vom Zelt aus. Es war tatsächlich nur ein kleines ebenes Fleckchen etwas unterhalb des Wanderwegs, mit Platz für zwei oder vielleicht auch drei Zelte. Da konnten wir das Zelt kostenfrei aufstellen. Etwas oberhalb standen einige kleine Hüttchen – das war eines der Camps der Tourenanbieter, mit denen man für umgerechnet ab 100€ pro Person die Übernachtungstour mit Guide und Transport aus Antigua in Angriff nehmen konnte. Es hat sich ein richtiger Massentourismus auf den Acatenango entwickelt, vor einigen Jahren gab es scheinbar noch nicht so viele Camps und Hütten da oben – dafür aber mehr Flächen, auf denen man einfach sein Zelt aufstellen konnte. Ich bin mir relativ sicher, dass auch unser Fleckchen nicht mehr lange frei bleiben wird – am nächsten Tag hörten wir es fleißig Bohren, Sägen und Klopfen – die ursprüngliche Romantik schwindet weiter. Wir mussten letztendlich nur die Gebühr der Gemeinde und den Bus bezahlen – insgesamt 10€ pro Kopf, dazu kommt noch die Versorgung. Diese Art des Individual-Budget-Tourismus ist jedoch nicht gewollt. Aber wer jetzt denkt, dass mit dem Geld etwa die Wanderwege in Schuss gehalten oder etwa die Natur geschützt würde, der irrt. So sah es leider nicht aus. Die Kiefern da oben wirkten beispielsweise ziemlich verstümmelt, schließlich gehört zu so einem richtigen Vulkan-Overnighter ja auch ein vernünftiges Lagerfeuer dazu. Ein Wegebau, wie ich ihn aus westlichen Nationalparks kenne, gibt es nicht, statt dessen wird weiter ausgetreten, ohne Rücksicht auf die Natur.

Kaum dass das Zelt stand, beschlossen wir uns nach drinnen zu verkriechen. Der Wind wehte so stark, dass es auf den 3700 Metern einfach zu kalt war, um draußen herumzusitzen. Zu sehen gab es dank der Wolken eh nichts. Am Abend zuvor hatten wir Spätzle mit einer Gemüsepfanne vorgekocht – die gab es nun zum Abendessen. Zwar leider kalt, auf Kochausrüstung hatten wir aus Gewichtsgründen verzichtet, doch nach so einem Kräfte zehrenden Wandertag äußerst lecker. In der Distanz hörten wir es immer wieder rumpeln, ähnlich einem Gewittergrollen – das mussten die Eruptionen von El Fuego sein, zu sehen war jedoch nichts. Etwas frustriert stellte ich einen Wecker auf Mitternacht in der Hoffnung, dass es bis dahin vielleicht aufklaren würde und legte mich schlafen – so langsam machten sich nämlich auch ein paar stärkere Kopfschmerzen breit.

Sonnenaufgang auf 3976 Metern

Als der Wecker um vier Uhr morgens klingelte, war es noch stockdunkel. Die verdammten Kopfschmerzen spürte ich nun so richtig intensiv – das war wohl eine milde Variante der Höhenkrankheit. Mal eben so von 1500 auf 3700 Meter hoch und da noch übernachten, ist für den Körper wohl keine so gute Idee. Nach ein paar Snooze-Phasen überwanden wir uns trotz der frühen Uhrzeit und der niedrigen Temperaturen, machten uns wanderfertig und krabbelten schließlich aus dem Zelt. Hatten wir anfangs noch einige Stimmen „Vamos, vamos!“ rufen hören, so war es mittlerweile wieder ziemlich ruhig geworden – die Guides hatten ihre Gruppen bereits hoch auf den Kraterrand des Acatenangos getrieben. Wir stiegen also mal wieder in wunderbarer Einsamkeit bergauf, versuchten uns aber trotzdem etwas zu beeilen, da es mittlerweile doch schon zu dämmern begann. El Fuego rumpelte ungestört weiter vor sich hin und stieß alle zehn bis fünfzehn Minuten eine dicke Rauchwolke aus, von der rot leuchtenden Lava war jetzt jedoch nichts mehr zu sehen. Beeindruckend war das ganze trotzdem. Zwar hatte ich El Fuego schon zwei Tage zuvor aus sehr großer Distanz rauchen sehen, als ich auf dem Tier nach Antigua hinunterrollte – doch aus der unmittelbaren Nähe war das nun schon eine ganz andere Nummer.

Die Sonne lugte gerade über den Horizont, als wir oben auf dem erloschenen Acatenango ankamen. Die ersten Sonnenstrahlen tauchten die Umgebung in ein cremig rötliches Licht; unter uns befanden sich ein paar leichte Wolken; der Vulkan Agua zu dessen Fuße Antigua lag, thronte mächtig vor uns; El Fuego war nur durch einen kurzen Bergkamm von uns getrennt und in weiter Ferne ragten die Gipfel der umliegenden Gebirgszüge aus den Wolken heraus. Verdammt waren wir weit oben, mir wurde hier erst so richtig die gewaltige Höhe bewusst, in der wir uns befanden – auf einer knapp 4000 Meter hohen Spitze alles andere überblickend. Ebenso beeindruckend war der imaginäre Vulkan, der sich auf der Westseite des Acatenangos zeigte – genau genommen war es sein eigener Schatten, der dank der tief stehenden Sonne in den Morgendunst projiziert wurde.

Überwältigt war ich aber auch von den Menschenmassen, die sich mit uns da oben befanden – es müssen mindestens 200 gewesen sein. Die Mehrheit der Camps befindet sich auf der Ostseite des Acatenangos, unser Zelt stand auf der Westseite. Auch waren wir tags zuvor recht spät am Berg und haben dadurch von den anderen gar nichts mitbekommen. Doch der Trubel hielt nicht lange an, denn irgendwann waren wieder die „Vamos, vamos“ Rufe zu hören und auf einmal hatten Steve und ich den kompletten Krater des Acatenangos für uns allein. Zwar stand die Sonne nun schon etwas höher, doch hatte der Ort dank der Ruhe nochmal eine ganz andere wunderbare Wirkung.

Irgendwann beschlossen aber auch wir wieder hinabzusteigen, zumindest erstmal bis zum Zelt, um zu Frühstücken. Es dauerte nicht lange, bis ein Vierbeiner neben Steve auftauchte und uns treuherzig anstarrte. Doch von Steves Frühstück wollte der Hund eigenartigerweise nichts haben. Als ich dann meine Haferflocken begann mit Wasser aufzugießen, wurde unser vierbeiniger Freund schlagartig aufmerksam – das war es also. Ich schnitt kurzerhand eine der leeren PET-Flaschen auf, füllte die so entstandene Schale mit Wasser und in Null-Komma-Nichts machte sich der Hund daran zu schaffen. Abgemagert war er nicht, zu fressen schien er genügend zu bekommen, aber die Trockenheit mit dem ganzen Vulkanstaub schien ihm zu Schaffen zu machen.

Der Abstieg ging wesentlich zügiger als der Aufstieg vonstatten. Ich freute mich endlich wieder nach unten zu kommen, mein Kopf brummte mittlerweile gewaltig und die Schmerztabletten schlugen nicht an. Kurz vor Ende des Waldes hieß es dann jedoch immer öfter warten, warten und nochmals warten. Die neuen Gruppen waren gerade am Aufsteigen – ewig lange Menschenketten, mit vielen angestrengt schnaufenden Gesichtern. Die meisten trugen ihr Gepäck, doch einige schienen nichts dabei zu haben, dafür stiegen dann voll bepackte einheimische Träger hinauf. Gepäcktransport konnte man sich also auch kaufen. Um meinen Kopfschmerzen etwas Einhalt zu bieten, legten wir einen Kaffeestopp an dem kleinen Restaurant inmitten der Maisfelder ein, welches nun glücklicherweise geöffnet hatte. Die geringere Höhe und das schwarze flüssige Gold wirkten Wunder, sodass ich mich schon recht schnell besser fühlte. Bei der Ankunft in Antigua war von den Kopfschmerzen nichts mehr zu spüren – Höhenkrankheit ade.

Fazit

Der Overnighter zum Acatenango und El Fuego war definitiv ein Highlight in Guatemala, ja der ganzen Reise an sich. Die Wanderung ist ziemlich gut machbar für jeden, der etwas Kondition hat. Lediglich die Höhe ist dabei eine Herausforderung, mit eventuell eintretenden Anzeichen von Höhenkrankheit. Schläft man die Nacht zuvor vielleicht schon auf der Höhe von la-Soledad, dürfte es bestimmt keine Probleme geben. Guides und speziell organisierten Transport von Antigua zum Ausgangspunkt braucht man definitiv nicht. Ich bin ehrlich gesagt nicht nur wegen der Reisekasse froh, die Wanderung ohne den ganzen Rummel gemacht zu haben. Steves Gesellschaft war hervorragend – eine Gruppe von 50 bis 60 Leuten dagegen hätten den Trip in einen für meinen Geschmack furchtbaren Ausflug verwandelt. Aber von solch einem Erlebnis sollte ich in El Salvador noch etwas „kosten“.

@Steve: Thanks mate and happy cycling!
@Thomas: Vielen Dank für deine Gastfreundschaft und die guten Hinweise!


Reisezeit: April 2024

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