Überwintern auf Zypern

Überwinterungspläne gab es für den letzten Winter so einige. Erst war Georgien angedacht, dann eher der Süden der Türkei. Beim Studieren der Karte entdeckte ich eine Fährverbindung von der Türkei auf die Insel Zypern. Damit ließe sich die Türkei mit einem weiteren mediterranen Ziel kombinieren. Das Klimadiagramm sah ganz gut aus, nur der Regen könnte eventuell etwas stören. Nach etwas Recherche war auch klar, dass die aktuelle politische Situation zumindest für mich als EU-Bürger kein Problem darstellen würde. Ich beschloss also in Taşucu die Fähre nach Girne zu nehmen.

Die Politische Situation auf der Insel ist nämlich eine ziemlich Besondere. Seit 1974 ist die Insel geteilt, heute sind es zwei Staaten: Die Republik Zypern im Süden der Insel (auch griechischer Teil genannt) und die Türkische Republik Nordzypern im Norden (TRNC, umgangssprachlich türkischer Teil). Letzterer Staat gilt allerdings als De-facto-Regime, da die TRNC nur von der Türkei anerkannt wird. Die Republik Zypern ist Teil der EU, als Währung gibt es dort den Euro. In Nordzypern wird mit der Türkischen Lira gezahlt, allerdings sind die Preise in diesem Land wesentlich höher als in der Türkei. Die Teilung der Insel macht sich auch heute noch ziemlich heftig bemerkbar: Es gibt eine „grüne Linie“, bewacht von Truppen der UN, welche sich über die gesamte Insel inklusive der Hauptstadt Nikosia zieht. Es gibt nur ein paar geöffnete Grenzen, an denen auch nur ausgewählte Menschen passieren dürfen. Genau genommen können ethnische Türken nicht ohne ein Visum in den Südteil, EU-Bürger dürfen seit ein paar Jahren problemlos in beide Richtungen passieren. Im Norden habe ich unzählige Kasernen gesehen, die voll sind mit Türkischen Soldaten – die Türkei tritt als Schutzmacht für die TRNC auf. Wie groß der Einfluss Ankaras in die Regierung der TRNC ist weiß ich allerdings nicht. Gleiches weiß ich ebensowenig über den Einfluss Athens auf die Republik Zypern. Nach etwas Recherche zur Geschichte der Insel und deren Teilung, bin ich zu keinem Schluss gekommen wer nun die „Guten“ und wer die „Schlechten“ sind. Wie so häufig in der Geschichte gibt es gute Argumente für alle Seiten des Konflikts, die Ursachen reichen weit zurück und eine Lösung ist schwierig. Es ist eine traurige Situation.

Kurz vor Weihnachten kam ich in Girne an. Doch eigentlich beginnt die Geschichte schon in der Türkei, im Hafenstädtchen Taşucu. Dort angekommen hieß es zunächst erst mal noch über einen Tag zu warten bis die nächste Fähre Abends 23 Uhr ablegen sollte. Aber nur ein Tag ist kein so schlechter Schnitt, denn bei einer Pause am Hafen fand mich Zdenko, der schon etwas länger wartete. Er kam aus Kroatien und war mit seinem Liege-Trike unterwegs. Ein ziemlich interessantes Gefährt, ich durfte Probe fahren und fand es äußerst komfortabel. Aber richtig Offroad hat so ein klassisches Fahrrad schon ein paar mehr Vorteile. Mit Warten, Fährüberfahrt und vielem weiteren Warten gab es auch genügend Zeit für ein ausführliches Schwätzchen. Die Fähre legte gegen 3 oder 4 Uhr morgens ab, bei dem ganzen Chaos vor Ort aber kein Wunder. Das Wetter war super mild und trocken, die See komplett flach. Wir breiteten unsere Isomatten auf dem Außendeck aus und konnten so ausgeschlafen in den nächsten Tag starten. Die meisten anderen Passagiere sahen mangels Schlafmöglichkeiten eher wie Zombies aus. Beim Warten an der Grenz- und Zollkontrolle trafen wir noch auf Steph aus Australien – sie ist mit ihrem Rad unterwegs nach Südafrika. Es tat wirklich gut mal wieder auf ein paar andere Radreisende zu treffen.

Doch die beiden sollten nicht meine letzten Bekanntschaften auf der Insel sein. Schon ein paar Tage zuvor hatte ich über eine WhatsApp Gruppe der Radel-Gemeinschaft Kontakt zu Jan, der Weihnachten auf Zypern verbringen wollte. Wir verabredeten uns für ein paar Tage später in Girne, da er erstmal noch auf die Insel kommen musste. In der Zwischenzeit erkundete ich schon mal den nordwestlichen Zipfel und bekam einen ersten Eindruck von der TRNC.

Die erste Herausforderung war eine für den Kopf: Ride left! Zypern war bis 1960 eine britische Kolonie, der Linksverkehr ist nur eines der zahlreichen Überbleibsel davon. Es fühlte sich schon etwas merkwürdig an nun die ganze Zeit von rechts überholt zu werden und der Verkehr aus Girne raus war anfangs auch nicht gerade gering. Das sollte sich ein paar Kilometer hinter der Stadt aber geben. Ich fühlte richtig den Inselcharme, da es nun etwas langsamer zu ging. Gleichzeitig war ich hin und weg von dem ganzen Grün. Die komplette Insel wirkte auf mich so saftig frisch, da wo ich her kam gab es nicht so viel Grün. Wie mir berichtet wurde ist das im Sommer allerdings das komplette Gegenteil. Ich war also zur richtigen Zeit da. Äußerst praktisch war es, dass auf der Insel die Mehrheit der Einwohner Englisch sprach, ein weiteres Relikt. Am Akzent erkannte ich auch viele ausgewanderte Briten. Auf Zypern ließen sich scheinbar besonders viele von ihnen für ihren Ruhestand nieder. Auffällig war außerdem die Unmenge an Reklame für Alkohol – Bier oder diverse harte Drinks. In den kommenden Wochen würde ich auch immer wieder feststellen, dass es dort tatsächlich ein richtiges Alkoholproblem gibt. Im Vergleich zur Türkei war Alkohol in der TRNC auch ziemlich günstig, wo hingegen alles andere wesentlich teurer war. Im Gegensatz zur Türkei kam ich auch an jeder Menge von Nachtclubs und Casinos vorbei – mit auffälliger Reklame versehen. Frauen mit Kopftuch sah ich wesentlich seltener, alles fühlte sich wesentlich liberaler an als in der Türkei. Was den Nationalstolz anging, so war es aber wie beim großen Bruder: Es mangelte nicht an Fahnen. Doch wehte neben jeder Flagge der TRNC immer auch eine Türkische, immer wieder gab es auch mal eine Attatürk-Büste zu sehen. Extrem auffällig waren aber die unzähligen Ruinen. Entweder waren es verlassene alte Gebäude die vermutlich einst Zyperngriechen gehörten, besonders oft waren dies ehemalige Hotels oder ganze zerfallene Ferienressorts. Oder es waren Bauruinen die noch gar nicht so alt waren, wo einfach das Geld ausgegangen zu sein schien und nicht mal mehr für eine Sicherung der Baustelle reichte. Für mich war dies äußerst praktisch – einmal zum urbexen aber auch um einen geschützten Campspot in den windigen oder regnerischen Nächten zu finden. Ein dritter Typus verlassener Gebäude waren die ehemalige orthodoxen Kirchen. Entweder waren diese verrammelt oder leer geräumt und offen stehen gelassen. In Güzelyurt fand ich eine die als Museum genutzt wurde, aber um da rein zu kommen musste man auch nach dem Schlüssel fragen. In der Hauptstadt Nikosia sah ich eine bespannt mit grünem Netz auf dem Gelände einer Kasserne. Irgendwo online stand, dass die Türken diese wohl auch als Lagerräume fürs Militär nutzen. Die Moscheen waren natürlich alle intakt, auch wenn deren Dichte nicht ganz so hoch war wie in der Türkei.

Nach den ersten Tagen auf der Insel traf ich dann in Girne auf Jan, der auf der Fähre noch Tobias kennen gelernt hatte. Wir radelten nur ein paar Minuten in ein Café, um dort auf Arthur und Paul zu stoßen – Franzosen die per Anhalter und Bus reisten. Sie wiederum hatten Kontakte in die Rainbow-Community und wollten zu einem Treffen von Rainbow Peoples für Weihnachten im Nordwesten der Insel. Es klang alles etwas wirr und chaotisch – irgendwas mit einem Grundstück wo wir einfach hin kommen könnten und zusammen mit anderen Menschen Weihnachten verbringen. Aber die besten Geschichten beginnen immer irgendwie chaotisch. Und dass man sich einfach auf Treffen mit den verrücktesten Menschen einlassen muss, hatte ich auf dieser Reise nun schon zur Genüge gelernt.

Der Ort des Geschehens war letztendlich eine Permakultur-Farm im Entstehungsprozess mitten im Nirgendwo, ein paar Kilometer entfernt vom nächsten Dorf. Das Grundstück gehört einem der Rainbow Community Zugehörigen der jedoch nicht vor Ort war. Zur vorhandenen Infrastruktur gehörten eine Holzhütte mit Küche, ein Outdoor-Shower mit Warmwasser bei Sonnenschein, ein Trinkwasserbrunnen dessen Pumpe durch Solarpanele betrieben wurde, ein domförmiges Gebäude gebaut aus Lehmsäcken mit Betten für zwei Personen, diverses Gerümpel, Beete und viel Platz zum Campen. Vor Ort waren wir bei meiner Ankunft fünf Radreisende – Chissi und Laura waren jeweils mit einem Anhänger und ihren Hunden von Österreich bis hier her geradelt. Aber es waren noch viele weitere tolle, interessante Menschen da. Es war ein bunter Nationalitäten-Cocktail und die meisten von ihnen waren aus dieser für mich ominösen Rainbow-Community. Weihnachten waren wir in meiner Erinnerung 25 oder 30 Personen.

Die Rainbow People sind eine Art loser Zusammenschluss von Menschen mit dem Ziel Frieden und Liebe auf der Erde zu erzielen. Die Bewegung geht auf ein erstes Treffen 1972 in den USA zurück und entstammt der Szene um die ersten großen Rockfestivals in den Staaten. Ich war also bei den echten Hippies gelandet.

Es war eine äußerst interessante und entspannende Zeit. Während einige von unserer Weihnachtsrunde schon nach ein paar Tagen weiter zogen blieb ich für ungefähr zwei Wochen. Und kehrte dann etwas später nochmal für ein paar weitere Tage zurück. In der Gemeinschaft wurde viel musiziert, gekocht, gequatscht, an der Farm gewerkelt, entspannt. Ich bekam einen Einblick in die Bräuche der Gemeinschaft, wurde auch als Nichthippie ohne jede Bedenken herzlich willkommen geheißen und akzeptiert. Diese Tage waren für mich ein sehr spannender Blick über den Tellerrand.

Vielen Dank an euch alle die ihr dabei wart, ich habe die Zeit sehr genossen und einen großen Batzen Motivation für diverse Projekte mitgenommen – ja, ich schreibe hier nicht von Energie 😀

Nach dem ersten Aufenthalt bei den Hippies ging es für mich weiter einmal quer über den nördlichen Teil der Insel. Es gab einen ersten Abstecher in die geteilte Hauptstadt Nikosia und von da weiter bis zum Kap Apostolos, von wo aus es bis zur Grenzstadt Famagusta ging. Das Wetter spielte nicht immer mit, doch wie bereits erwähnt gab es ja die vielen Ruinen, so dass das Zelt letztendlich immer trocken blieb. Zu kalt war es jedenfalls nicht. Ich genoss die mediterrane Landschaft, den Inselcharme, versuchte immer auf möglichst kleinen Straßen unterwegs zu sein. Es tat gut wieder unterwegs zu sein und jeden Morgen wo anders aufzuwachen. Ich war sehr zufrieden mit dem Winterziel Zypern – sämtliche Bedenken hatten sich wie üblich zerstreut, alles hatte sich gefunden, was für ein Leben!

Von Famagusta aus ging es dann natürlich weiter in den Süden der Insel – sozusagen mal wieder in die EU nach etwas länger Zeit. Doch dazu gibt es dann in einem der nächsten Artikel etwas mehr zu lesen.


Reisezeit: Dezember 22 – Januar 23

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