Alpenüberquerung in der Schweiz

Die Reste des Rhone-Gletschers.

Mit der Schweiz sollte es mal wieder einen richtigen Höhepunkt mit äußerst spektakulären Landschaften geben. Schon lange freute ich mich darauf endlich mal wieder in ein alpines Gebirge zu fahren, Pässe zu erklimmen und ständig auf neue Gebirgszüge zu blicken. Neben den Bergen freute ich mich aber auch darauf ein paar Freunde in der Schweiz mit dem Rad zu besuchen. Anfangs hatte ich sogar Bedenken durch dieses Land viel zu schnell durch zu radeln, da es ja so klein ist, doch es sollte alles anders kommen als erwartet.

Vom Bodensee aus ging es zunächst erst mal direkt nach St. Gallen. In Georgien hatte ich ein Jahr zuvor Daniela und Milan kennengelernt, genau genommen sind wir sogar für eine Woche gemeinsam durch den Hohen Kaukasus geradelt. Und die beiden hatten mich nun zu sich nach Hause eingeladen – eine großartige Gelegenheit einen ersten Eindruck von der Schweiz mit Freunden zu bekommen. Gemeinsam planten wir eine möglichst schöne Route auf der ich nach Italien gelangen würde, es gab eine kleine Stadtführung und einen spannenden Abend bei Bekannten der beiden die ebenfalls letztes Jahr auf großer Reise waren und nun ein paar Eindrücke davon in geselliger Runde präsentierten.

St. Gallen wirkte auf mich wie eine sehr edle Stadt. Alles sah sehr gepflegt aus, unansehnliche Ecken habe ich zumindest nicht gesehen. Im Zentrum gab es für einen Stadtkern natürlich auch die typisch prunkvollen Gebäude, die äußerst aufwendig verzierten Erker sind wohl eine Besonderheit in der Stadt. Die Altstadt dominiert der Komplex des Klosters mit der Stiftskirche. Ein paar Straßen weiter gibt es das „rote Wohnzimmer“ – ein recht großes Areal um einen Platz herum bei dem es einen roten Kunststoff-Boden gibt sowie einige Sitzgelegenheiten, die ebenfalls mit dem roten Kunststoff überzogen sind. Dazu herrschte überall reges Treiben. Etwas oberhalb an den „drei Weihern“ gibt es einen schönen Ausblick auf die Stadt, der sogar bis zum Bodensee reicht.

Erste Station: St. Gallen.

Nach St. Gallen gab es dann genau das, weswegen es die Schweiz nun auf die Route geschafft hatte: Berge. Bei sehr sommerlichen Temperaturen ging es straff nach oben. Daniela und Milan die mich auf dem ersten Stück noch begleiteten, hatten es auf ihren leichten Rennrädern die nur mit einer Trinkflasche „beladen“ waren recht leicht, ich hatte schon etwas zu tun da hinterher zu kommen. Aber gegen Mittag war die Schwägalp erreicht. Wir legten eine kleine Pause im Schatten ein und danach hieß es sich zu Verabschieden. Herzlichen Dank für die schöne Zeit und eure tolle Gastfreundschaft!

Für einen kurzen Abschnitt ging es oben auf der Schwägalp durch ein kleines Verkehrschaos – Massen von Autos parkten da, es hatte etwas von Volksfestcharakter. Grund dafür war eine typische Schweizer Tradition: Das „Schwingli-Fest“, welches gerade auf der Schwägalp statt fand. Ohne des Schweizerischen mächtig zu sein könnte man verstörender Weise vielleicht an ein Swinger-Fest denken, bei den Unmengen von Menschen fand ich das aber dann doch etwas abwegig – so lüstern waren die Schweizer nun bestimmt nicht. „Schwingen“ ist Schweizerisch für Ringen und damit wären wir also bei einem klassischen Sportevent. Ich schlängelte mich hindurch, erreichte dann etwas weiter unten wieder die Straße mit dem zugehörigen Pass-Schild und rollte danach in das nächste Tal hinab.

Unten angekommen drückte die Hitze ganz schön – viel zu warm um gleich weiter zu fahren. So ging es erst nach einem Nickerchen im Schatten auf zum nächsten Pass, dem „Vorder Höhi“. Die Route führte diesmal über eine ehemalige Militärstraße und bis auf ein paar Almbewohner war da auch kein regulärer Verkehr. Dafür war die Strecke umso steiler, so dass es vom Fahren irgendwann Abschnittsweise zum Schieben überging. Meine Gedanken kreisten in diesem Moment darum, ob die anderen Pässe auch so steil sein würden und wie anstrengend die ganze Alpenüberquerung eigentlich werden würde. Gedanken die man halt so während des „Leidens“ hat. Aber nein, Leiden war es nun definitiv nicht – nur etwas anstrengend, so steile Berge war ich schlicht nicht mehr gewöhnt. Irgendwann schwenkte ich an einer Stelle auf den Wanderweg ein, der immer wieder die Fahrstraße kreuzte und stellte dort dann das Zelt auf – schön versteckt vor den doch hin und wieder vorbei kommenden Fahrzeugen. Mit dem Wildcamping ist es in vielen Ländern West- und Mitteleuropas ja so eine eher unerwünschte oder auch unerlaubte Geschichte. In der Schweiz wo wirklich jedes freie Fleckchen Land irgendwie hübsch hergerichtet ist, ist das aber nochmal eine etwas kniffligere Angelegenheit. In vielen Gegenden des Landes haben mich „Camping im kompletten Gemeindebezirk XY Verboten“ Schilder „freundlich“ gegrüßt und mir so ganz subtil mitgeteilt, was man dort von meinem Reisestil hält. Letztendlich fand sich aber immer ein verstecktes Plätzchen zum Übernachten und es gab keine unangenehmen Überraschungen.

Perfekter Kaffee-Spot mit Aussicht.

Das Vorder Höhi war mit frischen Kräften am nächsten Morgen schnell erreicht und anschließend wurden die Bremsbeläge bei der darauf folgenden Abfahrt hinunter zum Walensee ganz schön auf die Probe gestellt. Um ehrlich zu sein, war ich ziemlich froh das Ganze nicht in die andere Richtung fahren zu müssen. Es ging nun für eine ganze Weile durch Täler, bis am Nachmittag die nächste Rampe erreicht war: Die Klausenstraße. Am Beginn der Serpentinen war auf einem Schild für Fahrradfahrer zu lesen, dass es auf den nächsten 21 Kilometern 1280 Meter nach oben geht. War das eine Warnung für E-Bikefahrer es nicht ohne Ersatzakku zu probieren? Mich hielt das Schild jedenfalls nicht auf und zu meiner Überraschung war das Ganze weniger anstrengend als die vorhergehenden zwei Pässe. Die Steigung ließ sich mit dem voll bepackten Reiserad ganz gut meistern, es dauerte halt nur eine Weile. Und so gab es auch hier wieder eine Übernachtung am Pass. Diesmal dank der isolierten Stellung im Ende des Tals und ohne Mond bei sternklarer Nacht mit einem spektakulären Ausblick nach oben zur Milchstraße – ein herrliches Ende eines langen Tages auf dem Rad.

Der Klausenpass war nun der erste so richtig Alpine Pass – es ging über die Baumgrenze, vorbei an Schranken die zu kälteren Jahreszeiten bei Lawinengefahr geschlossen werden in eine Umgebung wo die Felsen noch etwas schroffer aussehen und die Schnee bedeckten Gebiete näher rücken. Oben am Pass angekommen, ist es dann schon etwas Besonderes das Bergpanorama in Ruhe zu genießen – vielleicht gerade weil man es sich schweißtreibend erkämpft hat.

Auf in die hohen Berge!

Das nächste Ziel war die Göschener Alp. Lydia, eine Schulfreundin, hat sich dort niedergelassen und meinte auf die Frage ob man sie denn besuchen könne „klar, wir sind mitten im Heuen“. Bis ich Genaueres erfahren würde, floss aber noch jede Menge Schweiß. Denn unten im Tal angekommen war es wieder ganz schön heiß und der Anstieg von Altdorf hinauf nach Göschenen zog und zog sich und wurde auch immer straffer. Göschenen ist im übrigen das „Tunneldorf“ – dort beginnt der vor 144 Jahren eröffnete Gotthard-Tunnel mit einer Länge von 15 Kilometern für die Gotthard-Bahn genauso wie der Gotthard Autotunnel, bei dem es ebenfalls in Richtung Italien geht. Von Göschenen aus hinauf in die letzte Siedlung Gwüest wurde es nochmal eine Nummer anstrengender – die schmale Straße führte teilweise erbarmungslos steil durch das Göschenertal nach oben. Trotz dass es sich da um eine Sackgasse handelt, gab es doch erstaunlich hektisches Treiben auf der Straße und ich kam mir manchmal bei meinem Schneckentempo wie ein Verkehrshindernis vor. Doch auch diese Rampe war letztendlich nur eine Frage der Ausdauer.

Am Abend traf ich dann Lydia – ein schönes Wiedersehen nach langer Zeit bei dem es viel zu erzählen gab. Mit ihrem Mann Christian bewirtschaftet sie einen Hof und ist Herrin über zahlreiche Ziegen oder wie man in der Schweiz sagt Geißen. Ihren Betrieb haben sie passenderweise Geissenparadies getauft. Neben jeder Menge gutem Ziegenkäse gibt es im Hofladen noch Wurst, Fleisch, Eier und Marmeladen zu erstehen – alles ausgesprochen lecker und von bester Qualität. Am nächsten Morgen saß das ganze Team zum Frühstück zusammen: Lydia, Christian, die Angestellten und Helfer. Es wurden die Aufgaben für den Tag verteilt – es war wirklich Hochsaison was die Arbeit anging. Da ich keinen Zeitdruck hatte irgendwann irgendwo sein zu müssen, bot ich an mit zu helfen und blieb letztendlich anderthalb Wochen.

Zunächst war es die heiße Endphase des Heuens – schon bald sollte es Regen geben, doch bis dahin musste das wertvolle Futter für den Winter noch eingebracht werden. Aus Kindertagen und Jugend kannte ich das von daheim nur im kleinen Maßstab im Flachland, nun einmal bei einer größeren professionellen Heuernte dabei zu sein war sehr interessant. Da waren zum Beispiel die ganzen Gerätschaften beziehungsweise Maschinen: Heugabel, Heurechen, Schlepprechen, Heuwender, Ladewagen, Balkenmäher sowie Ballenpresse, wobei die Fahrzeuge unter diesen Maschinen an beeindruckend steilen Hängen fahren konnten – besonders krass war dabei der Balkenmäher der förmlich am Hang zu kleben schien. Dann gab es aber bei den einzelnen Arbeitsschritten so einiges zu beachten, dass das ganze Manöver auch nicht zu einer endlos langen Geschichte ausartete. Beispielsweise wird das Heu nach dem Trocknen zu sogenannten Mahden zusammengerecht – zumindest dort wo der Heuwender aufgrund der Hanglage nicht hin kommt oder dann wenn es schnell gehen muss und der Heuwender (dieses Fahrzeug kann auch Mahden legen und das sogar recht fix) gerade wo anders im Einsatz ist. Die Mahden ziehen sich wie lange Raupen aus Heu über die Fläche und werden anschließend vom Ladewagen automatisch aufgenommen. Sie müssen also so verlaufen, dass der Ladewagen da auch hin kommt, sinnvolle Abstände zueinander aufweisen und für ein möglichst effektives Aufnehmen am Ende auch nicht kreuz und quer verlaufen.

Als der Heuboden voll war kam ein anderer Bauer mit einer Ballenpresse vorbei und es wurden Ballen gepresst. Die Ballenpresse muss dazu auf der einen Seite fortwährend mit immer neuem Heu „gefüttert“ werde und auf der anderen Seite müssen die doch eher unhandlichen und schweren Heuballen weg getragen und aufgestapelt werden. Als dieser Schritt abgeschlossen war, mussten die Ballen wiederum auf einen anderen Heuboden gebracht und dort eingestapelt werden – eine sehr staubige und schweißtreibende Aktion.

Nach der Heuernte kam dann der Regen, der mehrere Tage anhielt und nun auch nicht gerade das Wetter war, bei dem ich weiter fahren wollte. Aber auch während dieser Tage lernte ich so einiges. Lydia nahm mich mit zum Melken, wo ich dann die Melkbecher an die Geißen anlegte, später die Milch filtrierte und mit sauber machte. Aber auch in die Käserei durfte ich mal reinschnuppern, sei es beim Käse wenden, dem Zentrifugieren der Rohmilch um Rahm herzustellen und diesen später wiederum zu Butter zu verarbeiten oder auch dem schlichten Umlagern von Käseleibern vom Käsekeller des einen Standorts in den Käsekeller eines anderen Standorts. Dann waren mal die Kinder zu hüten, diverse Fahrzeuge von A nach B zu bewegen oder auch Thymian zu sammeln.

Als das Wetter besser wurde blieb ich noch. In ein paar Tagen stand das „Emden“ an, dafür wurden noch helfende Hände gebraucht. Emd ist der zweite Heuschnitt, welches etwas feiner von der Struktur her ist und über einen höheren Eiweißgehalt verfügt. Aber auch bis zum Emden gab es noch genug zu tun, zum Beispiel Ziegen zu hüten – der Hirte bekam einen Tag frei und so hatten eine Helferin und ich seinen Job übernommen und waren letztendlich recht froh darüber, dass die Geißen am Nachmittag schon von selbst ganz genau wussten wo es wieder nach Hause in Richtung Melkstand ging. Sehr viel Spaß machte es mir auch mal wieder ein paar Kuchen zu Backen, ein oder zweimal bekochte ich auch das ganze Team – wenn man das für so viele Menschen nicht gewöhnt ist eine ganz schöne Herausforderung. Es waren lange Tage, nach denen man Abends geschafft ins Bett viel – zu meinem Radelalltag war es aber eine hervorragende Abwechslung bei der es nebenbei auch noch jede Menge zu lernen gab.

Spannende Tage im Geissenparadies.

Einen der Gutwettertage nutzte ich dann aber auch noch für eine richtig schöne Wanderung. Vom Gewüst aus ging es zunächst hoch zum Staudamm und dann weiter auf die Bergsee-Hütte. Es ist eine Hütte des Schweizer Alpenvereins SAC gelegen in hochalpiner Umgebung an einem kleinen See mit tollem Blick in Richtung des Dammagletschers. Der Gletscher an der Dammawand ist der Hingucker im Göschenertal und war mir schon die ganzen Tage zuvor immer präsent – von da oben sah er aber auch sehr majestätisch aus. Nach einem Kaffee auf der Hütte ging es wieder ein Stück hinab, ein ganzes Stück um den Stausee herum, um anschließend zur Dammahütte hinauf zu steigen. War das Wetter anfangs recht sonnig und nur leicht bewölkt, so wurde es kurz vor Erreichen der Dammahütte am Nachmittag dann schon etwas nebelig – zumindest immer mal kurz. Die vorbei ziehenden Wolken- und Nebelschleier ließen immer wieder ein paar Fenster zu den dahinter liegenden Bergketten offen, was eine fantastische Stimmung ergab und meine Kamera immer wieder zum Knipsen brachte. Zurück ging es dann auf der rechten Seite des Stausees, so dass ich das Bergpanorama nun auch einmal in die andere Richtung genießen konnte. Meine Stimmung während der Wanderung war absolut euphorisch – es war eine so großartige Landschaft durch die ich da wandern durfte und irgendwie hat das Wandern etwas noch langsameres, etwas noch intensiveres als das Radeln. Wenn die Wanderschuhe nicht so verdammt groß und schwer wären, hätten es diese garantiert auch noch mit in das Reisegepäck geschafft.

Kleine Hüttentour um den Göschener Stausee herum.

Die Abreise von der Göschener Alp kam dann eher etwas überstürzt daher. Abends hatte ich immer etwas zur in Naher Zukunft anstehenden Querung des Atlantiks recherchiert und schlussendlich eine Möglichkeit auf dem Seeweg gefunden, bei der ich in Florida ankommen würde. Durch den Aufenthalt im Iran, war ich allerdings nicht mehr für das ESTA Programm qualifiziert und benötigte ein richtiges Touristen-Visum für die Vereinigten Staaten von Amerika. Das wiederum wollte ich mir auf deren Botschaft in Mailand organisieren, doch der frühest mögliche Termin dazu war im März. Nach ein paar frustrierenden Abenden am Rechner und etwas Hin- und Her-probieren hatte ich auf einmal einen Termin auf der US Botschaft in Frankfurt, in 8 Tagen. Die Chance wollte ich mir nicht entgehen lassen und radelte 2 Tage später los. Einen Teil des Gepäcks ließ ich allerdings bei Lydia und Christian – leichter beladen war die Strecke nach Frankfurt eher in so kurzer Zeit zu schaffen und andererseits würde ich so auch die geplante Alpenüberquerung noch zu Ende bringen.

Unterwegs zur kleinen Detour nach Deutschland.

Knapp über zwei Wochen später ging es also nochmal von Deutschland in die Schweiz. Diesmal ging es von Weil am Rhein nach Basel und von dort weiter in Richtung Luzern. Auf diesem Abschnitt luden mich Patrick und Andrea über Warmshowers zu sich nach Olten ein. Es war ein spannender Abend, auch weil die beiden erst vor kurzem die USA von der West- zur Ostküste mit dem Rad durchquert hatten. Vielen Dank euch für den schönen Abend!

In Luzern erwischte mich der Regen und so dümpelte ich eher etwas langsam vor mich dahin, immer auf der Suche nach Schutzhütten oder anderen Überdachungen, die mir etwas Zuflucht vor dem Regen geben würden. So richtig weiter zu fahren ergab keinen Sinn, da ich es auf ein paar Pässe abgesehen hatte, aber was will man oben auf dem Berg wenn alles in Wolken verhüllt ist? Und was will man den ganzen Tag bei Regen auf dem Fahrrad? Doch auch diese Regenphase ging wieder vorbei und dann begann sie – meine kleine „Tour de Pass“. Der Brünigpass war noch ein recht kleiner, eher zum „aufwärmen“. Doch dann ging es weiter zum Grimselpass, der wieder einer dieser spektakulären Alpenpässe ist, zu dem sich die Straße in zahlreichen Serpentinen langsam nach oben windet. Kurz vor erreichen der Passhöhe kamen mir Lucas und Fabian entgegen, seit sehr langer Zeit mal wieder eine Begegnung mit Langzeitradreisenden. Die beiden waren gerade auf dem Rückweg ihrer Südosteuropa-Runde. Für mich ging es allerdings weiter hoch auf den Pass. Das Wetter hatte sich nun mittlerweile wieder in bestes „Pass-Wetter“ verwandelt, dann war auch noch Sonntag und somit war es nicht verwunderlich, dass es da oben nur so von Motorradfahrern wimmelte. Als Dauerreisender konnte ich mir den Wochentag nun mal nicht raus suchen – knall harte Probleme halt. Ich entfloh dem Trubel hinunter ins Rhonetal nach Gletsch und war nun da, wo ich als Kind im Familienurlaub schon einmal war. Damals waren wir auf den Spuren der Furka-Oberalp-Bahn und irgendwie freute ich mich auch dieses mal einen Zug dieses technischen Meisterwerks nach Realp aufbrechen zu sehen. Ich stolzierte etwas auf dem Bahnhof herum und bekam einen kleinen Schock beim Betrachten der Ticketpreise für das Zügli – saftige Schweizer Preise. Aber es sollte ja eh mit dem Fahrrad über den nächsten Pass gehen und nicht mit der Bahn durch den Tunnel.

Nach einer knackigen Nacht oberhalb der Baumgrenze (der dort eher passendere Winterschlafsack, die Halbschuhe und die Winterkleidung parkten ja noch auf der Göschener Alp) ging es dann mit frischer Energie einen Tag später die letzten Meter hoch zum Furkapass, mit 2436 Metern der Höchste dieser Runde. Vor dem Pass gab es aber noch einen Stopp an dem Instagram-Hotspot dieser Gegend schlecht hin, dem verlassenen Hotel Belvedere. So knipste auch ich genau das, was schon zahlreiche andere vor mir knipsten, rollte noch ein paar Meter weiter und spazierte dann zum Rhone-Gletscher oder besser gesagt den Resten des Rhone-Gletschers. Vermutlich waren wir im Familienurlaub damals auch schon dort, so richtig erinnern kann ich mich jedoch leider nicht mehr.

Auf zur Tour de Pass.

Vom Furkapass aus war es nun eine sehr lange Abfahrt bis nach Göschenen und von da nochmal der knackige Anstieg hoch ins Gewüst. Der war diesmal allerdings recht schnell gemeistert, denn Christian kam zufälligerweise mit dem Bus vorbei und nahm mir das Gepäck ab. Ich genoss ein letztes mal die großartige Gastfreundschaft von Lydia und Christian, bevor es dann am nächsten Morgen weiter in Richtung Italien gehen sollte. Danke euch für alles!

Zwei Pässe standen noch auf dem Programm. Zunächst ging es von Göschenen nach Andermatt und dann hoch auf den Oberalp-Pass. Es war schon dunkel und der rituelle Entspannungskaffee am köcheln, als Sebastian mit seinem Fahrrad inklusive Anhänger auftauchte. Wieder ein Langzeitreisender und diesmal hatten wir auch ausreichend Zeit zum Quatschen, es wurde ein langer schöner Abend.

Auf der anderen Seite des Oberalp Passes waren die Schilder oftmals in Italienisch beschriftet – dort lebte also ein Teil der Italienischsprachigen Schweizer. Die Landschaft formte sich langsam etwas rundlicher und weniger schroff, der Baustil der traditionellen Gebäude änderte sich. Landesgrenzen, große Gewässer oder auch Gebirgspässe sind es, die so tiefe Änderungen einer ganzen Umgebung hervorrufen – beim Radreisen liebe ich es diese Änderungen immer wieder in Ruhe beobachten zu können. Als es dann mit dem Lukmanierpass über diese letzte große „natürliche Grenze“ ging, wurden diese Veränderungen aber noch einschneidender. Auf der südlichen Seite standen nun deutlich vermehrt Kiefern, es roch richtig intensiv nach ihnen, die Landschaft wirkte etwas trockener, der Baustil war hier mit den Schiefergedeckten Steinhäusern nochmal ein ganzes Stück anders. Erst dachte ich, dass dies definitiv schon gut Italien sein könnte, aber dafür war es noch zu sauber und zu gepflegt. Die letzte Nacht in der Schweiz verbrachte ich an einem Unterstand für Wanderer bei einer wunderbar milden Vollmondnacht oberhalb des Lago Maggiore. Nachdem die letzten Schweizer Franken zuvor in einem Supermarkt in Locarno verprasst waren, gab es nun zum Abschluss der Schweiz-Tour einen Festschmaus zum Abend und auch das folgende Frühstück war keinesfalls zu verachten.

Südlich des Lukmanier-Passes.

Die Runde durch die Schweiz war ein Bilderbuchtrip par excellence. Die Landschaften des kleinen Berglandes ähneln der hochgebügelten Hemdenabteilung eines feinen Herrenausstatters. Der Eingangs beschriebene Eindruck von St. Gallen wiederholte sich in den anderen von mir durchquerten Ortschaften und Städten. Wie bereits schon bei der „Schweiz in 20 Bildern“ erwähnt, habe ich sogar ein Hinweisschild auf einen Ortsverschönerungsverein gesehen, Blumenkästen an Ortseingangsschildern sind keine Seltenheit und die Schweizer scheinen es für eine Selbstverständlichkeit zu halten ihre Privatgrundstücke ebenfalls bilderbuchmäßig herzurichten. Das zeigt einen bestimmten Sinn für „Ordnung“ aber auch den Wohlstand sowie den Entwicklungsstand des Landes. Und es war wirklich schön sich gemächlich mit dem Rad durch diese „perfekte“ Landschaft zu bewegen, die Zeit in der Schweiz zu genießen. Den Müll den man sonst des Öfteren herumliegen sieht, habe ich in der Schweiz keinesfalls nicht vermisst. So malerisch die Landschaft am Lago Maggiore auch war, der Baustil dort in der Schweiz und Italien der gleiche war, etwas war nach dem Grenzübertritt nach Italien sofort auffällig: Dort war alles ein Stück verlebter, nicht mehr so „perfekt“, leider gab es auch wieder etwas Müll entlang der Straßen – doch genau diese nicht so sterile Umgebung hatte etwas sehr Authentisches und auch diese Umgebung fühlte sich wieder großartig an, vielleicht auch ein Stückchen freier.

Mit einem wesentlich leichter bepackten Rad und/oder den Wanderstiefeln wird es jedoch garantiert nochmal zurück in die Schweiz gehen, da gibt es einfach noch so viel zu erkunden. Aber glücklicherweise liegt das kleine Bergland ja direkt vor der Haustür, wenn ich denn irgendwann mal wieder „daheim“ bin 😉

Tschüss zäme! Und nochmals vielen Dank an alle meine Gastgeber, es war großartig!


Reisezeit: August/September 2023

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