Andorra – Kleines Land mit großen Bergen

Auf dem Weg in Richtung Spanien sollte es mal wieder durch die Berge gehen, die Pyrenäen hatte ich zuvor noch nicht besucht. In mitten dieses die Iberische Halbinsel vom Rest Europas abtrennenden Gebirges liegt der kleine Zwergstaat Andorra, umschlossen von Frankreich im Osten und Spanien im Westen. Ein Land dessen Name mir nur von Max Frischs gleichnamigen Drama bekannt war, mir aber sonst nicht viel sagte. Die Kombination aus Gebirge und einem mir völlig unbekannten Land klang sehr verlockend, so dass ich da unbedingt hin wollte.

Doch als es dann langsam auf die Pyrenäen zu ging, schwenkte das Wetter auf einmal auf Herbst um, es sollte Regnen und kälter werden, es war halt schon Ende Oktober. Ich hatte zugegebener Maßen schon etwas Respekt zu dieser Jahreszeit mit solch einer schlechten Wetterprognose in ein Hochgebirge aufzubrechen und fing an eine Alternativroute entlang der Mittelmeerküste zu planen. An dem Morgen wo es dann in Richtung Meer weiter gehen sollte, entschied ich mich spontan es doch noch zu wagen und einfach nach Andorra hoch zu radeln. Es kann ja nun nicht immer Sonnenschein sein.

Die letzte Nacht in Frankreich hatte es nochmal ordentlich geregnet und auch der darauf folgende Tag begann zunächst eher feucht, doch je mehr ich mich dem kleinen Bergland näherte, desto besser wurde das Wetter. So richtig genau lässt sich das Wetter im Gebirge nun mal nicht voraussagen und so radelte ich am Ende doch bei Sonnenschein über die Französisch-Andorranische Grenze – Bingo. Direkt nach dem Grenzort Pas de la Casa ging es weiter straff nach oben bis auf den 2408 Meter hohen Port d’Envalira. Da oben gab es nicht nur vier verschiedene Tankstellen sondern auch ein schönes Passschild, welches den Radlern der Tour de France sowie der Vuelta a España gewidmet ist. Ich war zwar nun alles andere als im Rennmodus unterwegs, freute mich aber trotzdem über die Radprominenz des Passes.

Von dem Pass aus wäre es theoretisch möglich gewesen auf 40 Kilometern direkt bis zur Spanischen Grenze auf 840 Metern herunter zu rollen, doch dann hätte sich der ganze Schweiß um da hin zu kommen ja nicht gelohnt. Da die Wetterprognose jedoch nicht die allerbeste war, entschied ich mich zumindest den ursprünglich angedachten Abstecher in eines der Seitentäler zu streichen, rollte bis in die Hauptstadt Andorra la Vella hinab und bezog ein Plätzchen auf dem dortigen Campingplatz.

Unterwegs auf den ersten Kilometern im Fürstentum Andorra.

Die Anreise mit dem Fahrrad war übrigens genau passend, denn um offiziell nach Andorra zu gelangen, kann man nur die Straße von Frankreich oder Spanien wählen. Es gibt weder eine Eisenbahn-Verbindung noch einen Flughafen. Auf der Karte habe ich auch noch einige Wanderwege nach Frankreich oder Spanien entdeckt, wie offiziell das ist weiß ich allerdings nicht. Da man mit einem EU-Pass jedoch keinen Stempel bekommt und im Wandergepäck vermutlich eh nicht so viele Güter ausführen kann, dürfte es wohl niemanden interessieren.

Ähnlich wie Monaco ist Andorra ein Fürstentum, trotzdem ist es wiederum völlig anders. Das Staatsoberhaupt teilen sich zwei im Ausland lebende Personen, die sogenannten Kofürsten: Der Präsident von Frankreich und der Bischof von Urgell – letzterer sitzt im an Andorra angrenzenden Bistum Urgell in Spanien. Seit 1993 gibt es aber eine demokratische Verfassung mit Parlament und einem Ministerpräsidenten als Regierungschef, so dass die Kofürsten nur noch repräsentative Wirkung haben. In Außenpolitischen Angelegenheiten des 468 Quadratkilometer kleinen Landes haben sie allerdings ein Vetorecht. Nur ungefähr 28% der Einwohner haben auch einen Andorranischen Pass und damit Wahlrecht. Die restliche Bevölkerung sind alles eine Art Zuzügler, die hauptsächlich beginnend ab 1950/60 in das Land als Arbeitskräfte kamen. Das vorher eher abgeschiedene kleine Bergland mit ein klein wenig Land- und Viehwirtschaft in den Tälern entwickelte sich ab da zum Tourismusziel in den Pyrenäen, sehr bedeutend ist da wohl auch der Wintersport. Zwischenzeitlich galt Andorra auch als Steueroase, doch in den 2010er Jahren wurden Einkommens-, Erbschafts-, Unternehmenssteuer und Mehrwertssteuern eingeführt. Mit 4,5% ist die Mehrwertsteuer jedoch ziemlich niedrig, was wiederum für zahlreiche Tagesbesucher in dem kleinen Land sorgt. Ich habe unzählige Tankstellen mit äußerst günstigen Preisen gesehen, gerade in den Ortschaften in unmittelbarer Grenznähe gibt es unzählige Geschäfte die ihren Umsatz hauptsächlich mit Alkohol und Tabakwaren zu bestreiten scheinen, die Städte sind allgemein recht voll gepackt mit Einkaufsmöglichkeiten, oftmals auch recht luxuriösen. Doch wirkt Andorra keinesfalls so übertrieben wohlhabend und nobel wie Monaco, es hat vielleicht eher etwas von der Schweiz. Andorra ist zwar in zahlreichen Europäischen Organisationen beteiligt, jedoch ist es weder Teil der Europäischen Union noch des Schengener Abkommens – es gibt also Grenzkontrollen bei der Ein- und Ausreise an den lediglich zwei Grenzübergängen zu Frankreich und Spanien. Amtssprache ist Katalanisch, durch die vielen Einwanderer wird aber auch Spanisch, Portugiesisch und Französisch gesprochen. In den Geschäften und Cafés kam ich mit ein paar Brocken Spanisch gut zurecht, auf dem Campingplatz klappte es auch mit Englisch – man ist halt auf Touristen eingestellt.

Wanderung in das Vall del Madriu-Perafita-Claror.

Am zweiten Tag meines Andorra-Besuchs sollte das Wetter noch recht trocken sein – perfekte Bedingungen um die Gebirgslandschaft etwas zu Fuß zu erkunden. Direkt von Andorra la Vella aus gelangt man in das UNESCO geschützte Vall del Madriu-Perafita-Claror, ein ehemals besiedeltes Bergtal, welches hervorragend zum Wandern geeignet ist. Meine ehern auf das Radeln trainierten Muskeln ächzten Anfangs ganz schön auf dem recht steilen Weg. Die Klickschuhe waren auch nicht unbedingt das passende Schuhwerk, gerade auf dem ersten Abschnitt, wo der Weg mit unregelmäßigen vom Bergbach einst rund gespülten Steinen gepflastert war. Dieser gepflasterte steile Weg war ein erster Hinweis auf die einstige Besiedlung des Tales, es dauerte nicht lange bis ich an terrassierten Wiesen und später auch an einer verlassenen Siedlung vorbei kam. Etwas später ging es an einer kleinen Wirtschaft vorbei, die vermutlich vormals eine Art Hof war. Ich sah ein paar Menschen an der Anlage werkeln, die Terrassen wirkten in dieser Gegend besonders gepflegt.

Passend zur Mittagspause gelangte ich an der Wanderhütte „Refugi de Fontverd“ an. Es ist eine Selbstversorgerhütte mit Schlafraum, Aufenthaltsraum und einer Grillstelle im Außenbereich – perfekt für mehrtägige Touren. In dem Gebiet gibt es noch weitere Hütten, die vermutlich ähnlich ausgestattet sind. Nach der Mittagspause wanderte ich nur noch ein kleines Stück weiter Talaufwärts, fing fleißig die wunderbare Herbststimmung mit der Kamera ein, drehte dann aber recht bald wieder um, um rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit wieder aus dem Tal heraus zu sein. Es war eine wirklich schöne kleine Wanderung, auf der mir nur einige wenige andere Wanderer begegneten. Die Herbstfärbung der Bäume und die langsam aufziehenden Wolken verliehen dem Ganzen auf dem Rückweg eine wunderbare Stimmung, ich war äußerst glücklich doch noch den Weg hinauf in die Pyrenäen eingeschlagen zu haben.

Unterwegs in der Hauptstadt Andorra la Vella.

Am Abend nach der Wanderung gab es dann aber das, was der Wetterbericht schon lange versprochen hatte: Regen. Dies sollte sich auch am nächsten Tag nicht ändern, so dass ich lediglich etwas die Hauptstadt zu Fuß erkundete, mich zwischendurch in Cafés etwas aufwärmte und wieder zurück auf dem Campingplatz in das schützende Zelt verkroch. Tags darauf gab es ein günstiges Wetterfenster, so dass es für mich weiter in den Spanischen Teil der Pyrenäen ging.


Reisezeit: Oktober 2023

Quellen:

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