Über den großen Teich gescheitert?

Eine Geschichte von naiven Träumereien und einer Form eher schrägen „Urlaubs“.

Eine Prämisse die ich mir für diese Reise auferlegt hatte, war es keinen Flieger zu nehmen. Nur zwei Ausnahmen würde ich mir erlauben: Ein „Notfallbesuch“ in der Heimat oder um die Reise gegebenenfalls zu beenden, wenn ein Zurückkommen mit einer dann vermutlich geschwundenen Reisekasse nicht mehr so einfach ist oder die Reise halt einfach abgebrochen werden muss. Der Grund für diese persönliche Restriktion ist die Umwelt und die Tatsache, dass ich schlicht schon genug geflogen bin: 2013 war ich in Neuseeland, dahin ging es praktisch einmal um die halbe Welt und noch viel krasser war es 2016, als mich ein Privatjet in der Mongolei abgeholt und zurück nach Dresden gebracht hat. Da ich aktuell auch nur für den eigenen Genuss reise, war ich der Meinung nicht noch unnötig Anlass für den weiteren Ausstoß von Treibhausgasen geben zu müssen. Und irgendwie passt dieses, sich mit einem Flieger von A nach B beamen, auch gar nicht zu dem langsamen Reisestil dieser Reise.

Dass sich die geplante Route wegen geschlossener Landesgrenzen Ende 2022 änderte, wurde hier schon mehrfach erwähnt. Nach dem Iran ging es wieder zurück nach Europa; ich besuchte im Sommer 2023 kurz die Heimat und wollte dann weiter in Richtung Südspanien. Von anderen Reisenden wusste ich, dass Ende des Jahres wohl Segelboote von da aus den Atlantik überqueren – vielleicht würde das ja klappen. Auf diversen Seiten im Netz suchte ich nach Angeboten da irgendwie mitzufahren, aber fand nichts – vermutlich hätte man direkt die kleinen Häfen an der Küste abklappern oder mehr „Vitamin B“ haben müssen. Bei einer Recherche für die Mitfahrt auf Containerschiffen stellte sich heraus, dass ich mir das aus finanziellen Gründen nicht leisten wollte. Bei einem Besuch von Freunden in der Schweiz lieferten diese mir die zündende Idee: Repositioning Cruises!

Bitte was? Auf Deutsch lässt sich das als Überführungskreuzfahrten übersetzen. Eine Kreuzfahrt bei der das Schiff irgendwo anders hin verlegt wird, wobei die Route meist für die klassischen Kreuzfahrttouristen eher uninteressant ist. Anlass für diese Überführungsfahrt ist der saisonale Betrieb – so ziehen beispielsweise die ganzen Redereien ihre Schiffe im Winter aus dem Mittelmeerraum ab und lassen diese dann beispielsweise durch die Karibik tuckern. Die Fahrt über den Atlantik dauert lang und es gibt viele Seetage – nicht das klassische Kreuzfahrtprogramm. Um nun nicht leer zu fahren, bieten die Redereien die Kabinen für wesentlich günstigere Preise an. Laut vieler Blogs im Internet sind diese Repositioning Cruises nicht nur günstig, sondern auch ganz angenehm, da die Schiffe wohl bei weitem nicht ausgebucht wären.

Dass Kreuzfahrten nun alles andere als gut für das Klima sind, war mir im Vorhinein völlig klar, aber mit dieser Überführungsfahrt klang das für mich eher so ähnlich wie die Mitfahrt auf einem Containerschiff – man nutzt eine freie Kapazität aus, die so oder so vorhanden ist; man erzeugt jedoch keine konkrete Nachfrage für das Transportmittel, wie etwa beim Buchen eines Flugtickets. Mit diesen Hintergedanken war das ganze also für mich die Lösung über den großen Teich zu kommen. Zumindest, wenn ich da das Fahrrad auch mitnehmen konnte. Aber bei so einem großen Pott sollte wohl ein Rad kein Problem sein, auch wusste ich von anderen Radreisenden, die genau so den Atlantik überquert hatten.

Mögliche Überführungsfahrten waren online schnell gefunden. Es gab zwei interessante Routen: Barcelona – Montevideo und Barcelona – Florida. Nur die Sache mit dem Fahrrad war nicht ganz so einfach. Ich kontaktierte letztendlich drei verschiedene Redereien über verschiedene E-Mail-Adressen, per Telefon in verschiedenen Büros und erhielt eine Absage nach der anderen. Ein Fahrrad mit an Bord zu bringen, wäre nicht möglich. Die anfängliche Euphorie über die Idee dieser Atlantikquerung schwand. Nach langem Hin und Her überlegen, dem intensiven Studium von AGBs und Gepäck-Maßen, buchte ich trotzdem ein Ticket. Mein Plan war es das Rad in Barcelona zu zerlegen und in einem Karton als Gepäckstück deklariert mit an Bord zu nehmen. Vor Ort würde ich die Leute schon überreden können, auch nahm ich mir vor, ein paar Zehn-Euro-Scheine mit dabei zu haben, um gegebenenfalls etwas nachzuhelfen.

Angekommen in Barcelona, begannen die Vorbereitungen für das Verlassen des Kontinents. Mein Bruder hatte mir ein letztes Versorgungspaket mit etwas Ausrüstung nach Barcelona geschickt; dies und das organisierte ich noch vor Ort, trieb Verpackungsmaterial auf und einen alten Fahrradkarton aus einem Fahrradgeschäft. Gleichzeitig stieg die Angst, dass der Plan vielleicht doch nicht aufgehen könnte, dass die Mitarbeiter am Hafen das Rad doch nicht an Bord lassen. Was würde ich dann machen? Einen Plan B gab es nicht, es musste einfach klappen. Wenn nicht, hätte ich viel Geld für das Ticket in den Sand gesetzt.

Am Montag dem 13. November ging es dann endlich los. Mit einem Großraumtaxi ließ ich mich vom Hostel zum Hafen fahren und sah zum ersten Mal den riesigen Pott, mit dem es hoffentlich nach Tampa in Florida gehen würde. Am Terminal angekommen herrschte reges Treiben, zahlreiche Gäste kamen mit ihren Rollkoffern an und gaben diese ähnlich wie beim Fliegen ab. Ich aß noch ein paar belegte Brötchen und versuchte dann mein Glück. Die Mitarbeiter waren sehr freundlich, wussten aber erst mal nicht so recht, ob das etwas werden würde. Aber sie fragten nach. Dann kam ein Angestellter der Hafensecurity, betrachtete den Karton und meinte, dass dieser durch den Röntgenscanner passen würde – das Tier durfte an Bord! Woah, was für ein freudiger Moment, wo von mir jede Menge Anspannung herabfiel. Das Tier und die Fahrradtaschen waren abgegeben, ich ging nun mit dem Handgepäck zum Check-in und wenige Minuten später an Bord der „Enchantment of the Seas“. Schon allein an dem Namen des Schiffs merkt man eigentlich, in was für eine schräge Welt ich mich da begeben habe. Die Kabine war recht geräumig, es gab ein Fenster mit Meerblick, Couch, Schreibtisch und ein Doppelbett sowie eine kleine Nasszelle. Nach einer Stunde stand dann auch der Karton mit dem Tier vor der Tür. Ich bugsierte den sperrigen schweren Karton um die engen Ecken, bis er letztendlich neben dem Bett stand. So gefiel mir das – das Fahrrad direkt neben dem Bett, wie schon zuvor in zahlreichen Hotels auf dieser Reise 😀

Ich war wirklich extremst erleichtert, nun endlich mit dem Rad nach Amerika aufzubrechen. Zwar waren die Vereinigten Staaten nicht das Ziel wo ich unbedingt hin wollte, denn der eigentliche Gedanke war es, irgendwie nach Lateinamerika zu kommen. Aber was die Routen anging, gab es nicht so viele Optionen und von Florida aus konnte man schließlich einfach nach Mexiko radeln. Diese Erleichterung und die Freude es nun tatsächlich ohne Flugzeug zu schaffen, trübte sich aber recht bald. Für mich, der den Kreuzfahrtdampfer nur als eine Art Fähre nutzen wollte, fühlte es sich irgendwie komisch an Bord an. Dabei geht es keinesfalls um den Wellengang oder die Zeitdauer der Atlantiküberquerung, all das juckte mich überhaupt nicht. Die zwei Wochen waren eher schon ganz angemessen für die zu überwältigende Distanz. Aber ich war nun auf einmal ein Kreuzfahrttourist. Und das auf einem Pott, der auch nicht wie erwartet nur halb voll war, sondern zu 90 % belegt. Es lief das scheinbar typische Kreuzfahrprogramm, mit mäßigen Unterhaltungsshows, verschiedenen Bands, Karaoke, Fitnesskurse angepasst an das Kreuzfahrpublikum, Sonnenbaden auf dem Oberdeck mit Pools und Cocktailbars und dreimal am Tag gab es ein riesiges Angebot an Essen in diversen Restaurants. Da es nur drei Landgänge gab, waren es somit weniger Touren, die durch die Rederei angeboten wurden – umso intensiver musste die Unterhaltungscrew an Bord ran. Es war der American Way of Holidaying, aber die meisten Gäste kamen auch aus den Staaten.

Das Angebot der Restaurants habe ich schon sehr genossen; war ich zum Abendessen nicht gerade im Buffet-Restaurant, gab es auch ganz nette Gespräche mit der Tischrunde im Á-la-carte-Restaurant. Die Kabine war ebenfalls komfortabel und ein wunderbar ruhiger Rückzugsort. Auch die Landgänge waren interessant; war ich doch individuell unterwegs und konnte in der kurzen Zeit wenigstens einen kleinen Eindruck der entsprechenden Orte erhaschen und etwas mit der Kamera spielen. Mit dem restlichen Programm konnte ich jedoch nicht viel anfangen. Langeweile plagte mich nicht, ganz im Gegenteil – endlich war mal Zeit stundenlang am Rechner zu sitzen, um Fotos zu bearbeiten und Blog-Beiträge vorzubereiten; es war schon eine recht produktive Zeit an Bord.

Doch ich war nach wie vor Kreuzfahrttourist. Und das Angebot war ein absolutes Überangebot. Schon allein das ganze Essen, welches am Ende nicht gegessen wurde. Die ganze Energie, die für die Beheizung der Pools, der Wellnessbereiche und des ganzen anderen nicht für die Überfahrt notwendigen Krempels notwendig war. Der Schornstein, der fleißig dunklen Rauch ausstieß. Ich begann die Ökobilanz meiner Atlantiküberquerung zu hinterfragen. Wäre es am Ende vielleicht doch besser gewesen zu fliegen? Oder hätte ich mehr Aufwand und Zeit investieren sollen, um vielleicht doch irgendwo mit zu segeln? Die Entscheidung für die Repositioning Cruise war jedenfalls etwas naiv und ich weiß nicht, ob ich noch einmal diesen Weg wählen würde.

Ein Zwischenstopp in Malaga

Den ersten Landgang gab es in Malaga. Ich spazierte durch das Stadtzentrum, knipste hier und da ein paar Bilder. Der Höhepunkt war der Rückweg zum Schiff, denn für kurze Zeit zogen ein paar dichte Wolken in das Hafenbecken hinein und verliehen der Umgebung eine fantastische Stimmung.

Inselfeeling auf den Azoren

Zwei Seetage nach dem Stopp in Malaga legte das Schiff im Hafen von Ponta Delgada an. Die Shuttle-Busse bewusst missachtend, spazierte ich auf der Mole entlang in Richtung Stadtzentrum. Schon allein auf diesem Weg gab es ein wunderschönes sehr langes Graffito zu sehen, an dem leider schon etwas die rauen Bedingungen der Küste nagten. Ponta Delgada ist die Hauptstadt der zu Portugal gehörenden Azoren und befindet sich auf deren größter Insel São Miguel. Trotz des Hauptstadt-Titels geht es in der Stadt recht beschaulich zu. Die Altstadt ist durch eine Architektur mit weißen Fassaden und kontrastierenden Basaltelementen geprägt. Die Fußwege und Plätze sind dort gepflastert und zeigen durch helle Steine verschiedene Muster. Schon eine Gegend, die zum Spazieren einlädt. Etwas ungewohnt wirkte auf mich der Anblick von blühenden Strelitzien in Kombination mit der bereits hängenden Weihnachtsdekoration. Das saftige Grün war allgegenwärtig und es gab natürlich auch noch weit mehr verschiedene Pflanzen als nur Strelitzien zu sehen. Auf der Insel werden aufgrund günstiger klimatischer Bedingungen unter anderem Ananasfrüchte produziert, wenn auch in Gewächshäusern. Eine dieser Plantagen direkt am Stadtrand Ponta Delgadas besuchte ich, probierte Marmelade und Ananasschnaps – kann man auf jeden Fall mal machen. Auf dem Weg zur Plantage ging es vorbei an moderneren Stadtvierteln, wo es auch einige Plattenbauten gab. Aber auch hier war die Atmosphäre ruhig und gemütlich. Wenn es schon in der Stadt so viel sattes Grün gab, wäre eine ganze Inselbesichtigung natürlich noch etwas spannender als nur der Stadtrundgang gewesen. Zumal es wohl auch viele Berge vulkanischen Ursprungs gibt, aber es war ja nur ein kurzer Kreuzfahrtstopp.

Willkommen in der Karibik

Eine Woche später legte der Pott in seinem Heimathafen Nassau auf den Bahamas an. Die Registrierung des Schiffs auf diesen Hafen hat aber mit Sicherheit andere Gründe als das „schöne“ Kreuzfahrtterminal. Die Bahamas sind Teil des Commonwealths und seit 51 Jahren unabhängig von Großbritannien. Nassau befindet sich auf der Insel New Providence. Es ist die Hauptstadt des Inselstaats und nimmt in etwa ein Drittel der Inselfläche ein. Von der Ruhe wie ich sie in Ponta Delgada erlebte, gab es dort allerdings nichts. Das Verkehrsaufkommen war enorm und ich fragte mich, wo die alle nur auf dieser kleinen Insel hin wollen. Gefahren wird links, die Architektur war ein ziemlich bunter Mix und war eher weniger das, was ich aus Europa kannte. Es lag überall furchtbar viel Müll herum. Zumindest da, wo ich herumspazierte, denn die vermutlich gepflegte Gegend rund um die überdimensionierten Hotelanlagen im Norden der Stadt interessierten mich nun überhaupt nicht. Das Stadtzentrum war brechend voll von Touristen, denn mein Schiff war nur eins von über zehn Kreuzfahrtschiffen, die an diesem Tag in Nassau anlegten. Um ehrlich zu sein, war ich froh wieder an Bord gehen zu können und diesen verrückten Ort zu verlassen.

Am letzten Tag auf See baute ich in aller Ruhe das Fahrrad wieder zusammen und konnte es so am Morgen des 27. November einfach von Bord rollen. Die Einreise gestaltete sich als absolut unkompliziert, die Beamten waren lediglich etwas erstaunt über das voll bepackte Rad und wünschten mir eine gute Reise.


Reisezeit: November 2023

Kommentare

4 Antworten zu „Über den großen Teich gescheitert?“

  1. Benutzer Icon

    Hallo Binni, bin so begeistert von diesem Artikel! Schon eine Weile habe ich das Thema Atlanticüberquerung erwartet. Wünsche schöne Zeit in Amerika. Grüsse aus Tscheichen, Jana

    1. Benutzer Icon

      Hallo Jana! Es freut mich sehr, dass du hier mit liest 🙂 Danke für die lieben Worte, Grüße aus Guatemala!

  2. Benutzer Icon
    Andreas

    Wirklich tolle „Geschichte“.
    Ich glaube ich wäre in die gleiche Falle getapst. Alleine die Frage, wie das Tier nach Amerika kommt und das Bild in meinem Kopf, wie du von Board rollst.
    Genial.

    Gute Weiterreise Binni.

    1. Benutzer Icon

      Für manche Probleme gibt es einfach nicht „die“ perfekte Lösung.
      Danke dir!

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