Einmal quer durch Moldawien

Nachdem die anvisierte Strecke gen Osten Anfang des Jahres nicht möglich war ohne in einen Flieger zu steigen, entschied ich mich erst mal zurück nach Europa zu kommen. Die Routenideen änderten sich zu Beginn öfter, jedoch immer dabei eingeplant war Moldawien. Irgendwie wollte ich dieses kleine Land im Osten Europas unbedingt sehen, von dem mir sonst eher weniger bekannt war.

Die Republik Moldawien ist mit 33.843 Quadratkilometern in etwa so groß wie Nordrhein-Westfalen, grenzt im Westen an Rumänien und damit an die Europäische Union und ist ansonsten von der Ukraine umschlossen. Ganz im Süden hat der Binnenstaat mit rund 500 Metern noch ein Stückchen Donau als Landesgrenze erwischt. Die Landessprache ist Rumänisch, Russisch dominiert aber auch in einigen Teilen des Landes und wird eigentlich überall verstanden, im Südosten in dem autonomen Gebiet Gaugasien wird auch noch Gaugasisch gesprochen. Die Republik war früher eine Teilrepublik der Sowjetunion, drängt aber heute in Richtung Europäische Union. Es gibt historisch bedingt eine große Nähe zu Rumänien, Moldawier mit Rumänischen Vorfahren können recht einfach die Rumänische Staatsbürgerschaft und damit einen Europäischen Pass erhalten. Im Osten des Landes hat sich 1992 die offiziell nicht anerkannte Pridnestrowische Moldauische Republik abgespalten, welche sehr eng mit Russland verbunden ist – umgangssprachlich ist sie dem ein oder anderen vielleicht als Transnistrien bekannt.

Der Pruth bildet die Grenze zu Rumänien.

Das in dem Land die Dinge noch etwas anders ticken, merkte ich schon beim Grenzübergang. Ich kam ganz im Süden aus Rumänien und musste zunächst mit zahlreichen Autofahrern eine gefühlte Ewigkeit vor einer Schranke warten, bis sich diese öffnete. Dann wurde ein ganzer Schwung Fahrzeuge auf das Grenzgelände gelassen. Ein Beamter sammelte sämtliche Ausweise ein und verschwand damit in einem Kabuff, andere stolzierten zwischen den Fahrzeugen herum und warfen hier und da einen Blick in die geöffneten Kofferräume. Bei mir zog wieder mal der Radreisenden-Joker und so rief es dann doch noch recht schnell von Richtung des Kabuffs her „Mister, Mister“ und ich bekam als erster meinen Reisepass zurück und konnte ohne weitere Taschenkontrolle einreisen. Direkt hinter dem Grenzübergang lag das Dorf Giurgiuleşti, wo ich von der Grenze kommend gleich links ab bog – gerade aus, am anderen Ortsausgang, war direkt der nächste Grenzübergang zur Ukraine. Die Straße hatte eine miserable Qualität, ganz so wie ich es von einem unbedeutenden Dorf im Nichts erwarten würde, aber an mir zogen doch immer wieder große LKWs vorbei. Es war halt an dieser Stelle die einzige Route ins Landesinnere. Bis auf das erhöhte Verkehrsaufkommen hatte das Dorf aber ziemlich viel vom besagten „Nichts“. Ein paar Kilometer weiter fand ich etwas erhöht über der Straße eine Schutzhütte mit Grill und davor aufgestellter Schaukel vor – der perfekte Übernachtungsspot. Viel genialer als diese Hütte war jedoch der Ausblick bei Sonnenuntergang auf den gemächlich dahin mäandrierenden Grenzfluss Pruth zu Rumänien. Dass es diese wunderschönen Landschaften leider nicht überall in Moldawien gibt, würde ich bald erfahren.

Die Hütte war ziemlich praktisch, da es in der Nacht regnete. So wurde wenigstens das Zelt in dieser ersten Nacht nicht nass, der Regen blieb jedoch die nächsten Tage bis in die Hauptstadt Chișinău ein immer wieder kehrender Begleiter. Vermutlich war dies auch ein Grund warum ich den Süden des Landes nicht ganz so sehr würdigte – Regen beim Radeln schlägt sich halt immer etwas negativ auf die Erkundungslust nieder. Es ging jedenfalls durch viele kleine Dörfer, die zwar nicht unbewohnt waren aber auch nicht übermäßig vor purem Leben strotzten. Es war ein eher ruhiger Landstrich. Aufgefallen sind mir die vielen Brunnen – mancherorts stand sogar vor jedem Haus ein Brunnen. Viele davon waren zudem kunstvoll gestaltet, verfügten manchmal auch über einen kleinen schützenden Pavillon – dies zeigt schon ziemlich gut den Wert den die Brunnen für die Menschen da haben. Die Wasserversorgung war damit in Moldawien schon mal kein Problem für mich. Die kleinen Häuser sahen mit ihren reichlichen Verzierungen auch ziemlich schön aus. Prunkvoller verziert waren die Kirchen und die an jeder Ecke stehenden Kruzifixe, des öfteren war das ein im Glaskasten baumelnder Jesus der so vor Wind und Wetter geschützt war. An öffentlichen Gebäuden oder ehemals öffentlich genutzten waren oft Mosaike aus der Sowjetzeit angebracht. Sie zeigten entweder die Einheimischen in traditioneller Tracht, typische Szenen aus dem Arbeitsalltag oder die Errungenschaften des Sozialismus. Die meisten dieser Mosaike waren an den Buswartehäuschen zu finden. Davon gab es in dem Land übermäßig viele, alle schön groß und meistens gut geschützt, so dass sich bei Regen auch mal ein Zelt darin trocken aufstellen ließ. Was diese Wartehäuschen anging schien es zwar auch einen einheitlichen Bautyp gegeben zu haben (heute oft mit individuellen Malerarbeiten oder Gemälden individualisiert), die mosaikverzierten waren aber immer einzigartig, auch bezüglich der Bauform.

Typische Architektur und Brunnen.

Zwischen den Dörfern gab es jede Menge Agrarland zu bestaunen. Äcker, Weinplantagen, hin und wieder ein paar andere Obstplantagen und wiederum Äcker. Ging es in einen anderen Bezirk, so war die Bezirksgrenze durch eine zu Sowjetzeiten errichtete Skulptur oder eine andersartig kreativ gestaltete Stele mit entsprechendem Schriftzug markiert. Da der Weinanbau eine der zentralen Säulen der Moldawischen Landwirtschaft war und ist, stellten die Skulpturen oft Weintrauben präsentierende Frauen dar.

Kunst an den Bezirksgrenzen.

Am dritten Tag war ich ganz erstaunt mal über einen richtig neuen Straßenabschnitt zu fahren, gleich daneben prangte ein Schild „Moldova Europeana 2030“. Allgemein schien die Qualität der Hauptstraßen in den nördlichen zwei Dritteln des Landes besser zu sein. Einmal überholte mich ein Hundefänger mit der Aufschrift „Strabag“.

Buswartehäuschen und Gedenksteine.

Was die Lebensmittelversorgung anging, so sah es in den kleinen Dörfern eher mau aus. Manchmal gab es einen „Coop“ Markt, wobei man da genau wissen musste was man wollte, denn die Dinge befanden sich da hinter der Theke und man bekam sie nur auf Nachfrage. So war es früher vermutlich überall üblich, aber ich muss sagen es ist schon sehr komfortabel selbst vor einem Regal zu stehen und mehrere Produkte miteinander vergleichen oder überhaupt erst mal in Ruhe das Angebot studieren zu können. Diesen Supermarkt-Komfort fand ich dann aber doch noch in den Städten vor, am liebsten war mir da dann der „Linella“.

Bis auf Bălți und Chișinău waren die von mir besuchten Städte auch eher übersichtlich von der Größe her, aber das passte irgendwie auch ganz gut zu dem ohnehin schon recht kleinen Land. Die Hauptstadt Chișinău fühlte sich wie eine typische europäische Hauptstadt an, auch Bălți hatte das Flair einer richtigen Stadt. Es waren aber auch die einzigen Orte in deren Umgebung es etwas Industrie zu geben schien. Dort waren dann allerdings auch viele Industrieruinen aus Sowjetischer Zeit zu finden.

Da das Wetter auch weiterhin nach Regen ausschaute, blieb ich eine Woche in einem Hostel in der Hauptstadt Chișinău. Die Pause kam mir ganz gelegen, denn es gab einiges am Blog zu erledigen – es war die Zeit wo diese Seite hier auf WordPress umgestellt wurde. Der Mix an Gästen im Hostel war äußerst interessant. Die Mehrheit waren Langzeitgäste: Usbeken oder Ukrainer, welche tagsüber arbeiten gingen und den Rest des Tages im Hostel verbrachten. Dann war da noch ein Moldawier, ein Langzeitgast aus den Vereinigten Staaten und ein paar wechselnde internationale Gäste die dann tatsächlich als Touristen so wie ich da waren. Es gab also immer jemanden um ein kleines Schwätzchen zu führen.

Im Tunnelsystem der Cricova Kellerei.

Als sich das Wetter besserte, rollte ich weiter nach Transnistrien – doch diesen Teil gibt es in einem extra Artikel. Bei der Rückkehr aus diesem speziellen „Staat“ gab es den nächsten Stop nur ein klein wenig nördlich der Hauptstadt in Cricova. Wenn in dem Land schon so viel Wein produziert wird, musste dieser schließlich auch einmal verkostet werden. Die Kellerei in Cricova ist dabei eine Besondere. Sie verfügt über ein unterirdisches Tunnelsystem mit ungefähr 120 Kilometern Gesamtlänge. Einst wurde dort mal Kalkstein abgebaut, heute dient das unterirdische Labyrinth der Lagerung und Herstellung von Schaumwein und anderen Weinen. Bei einer Führung ging es mit einem kleinen Elektrobus recht rasant durch die Tunnel zur Besichtigung einiger der Anlagen. Ich erfuhr etwas über die Flaschengärung des Schaumweins, bekam die Maschine zur Hefeextraktion bei diesem Verfahren zu sehen, befand mich plötzlich in einer unterirdischen orthodoxen Kapelle und anschließend in der großen Weinsammlung von Cricova. Zu Sowjetzeiten wurde die Weinsammlung zur Staatlichen Sammlung der damaligen Republik ernannt. Es lagern dort einige recht alte Weine, der älteste ist von 1902 und stammt aus Jerusalem. Krönender Abschluss der Führung war dann natürlich eine Verkostung in einem der zahlreichen Probierräume im Tunnelsystem.

Am Kloster in Tipova.

Der Wein schmeckte nicht nur ausgesprochen gut sondern war auch hervorragend verträglich. So konnte es am nächsten Morgen ohne Probleme weiter in den Norden des Landes gehen. Ich steuerte nun auf zwei Klöster im Nord-Osten des Landes zu: Tipova und Saharna. Auf dem Weg dahin wäre es problemlos möglich gewesen unzählige weiterer Klöster zu besichtigen, sie scheinen neben den Winzereien die anderen großen Sehenswürdigkeiten des Landes zu sein. Da ich aber kein Pilgerer bin, reichten zwei vollkommen zu. Das Kloster Tipova ist ein Höhlenkloster, welches in die wunderschönen Sandsteinformationen am Dnister gebaut wurde. Viele der ehemaligen Klosterräumlichkeiten erinnerten mich an Boofen aus der Sächsischen Schweiz, nur dass die Felsüberhänge daheim nicht mit bunten orthodoxen Ikonenbildchen dekoriert sind. Das Kloster in Saharna war im Gegensatz zu Tipova riesig und bunt. Es lag mitten in einem saftig grünen Tal und verfügte über einige imposant wirkende Bauwerke. Folgte man dem Weg am Hinterausgang des Klostergeländes kam man vorbei an einer Art Kaltwasser-gespeistem Swimmingpool des Klosters und dann zu einem wunderschönen Wasserfall der von oben in eine Grotte herunter plätscherte. So mit Wasserfall und Sandsteinformationen sind Klosterbesuche also schon ziemlich interessant.

Am Kloster Saharna.

Spannend war aber auch der Weg zwischen den beiden Klöstern. An dem Tag wo ich nach Tipova radelte blies der Wind mal wieder ziemlich stark und natürlich meistens aus der falschen Richtung. Für den Weg nach Saharna wäre es wieder ein ganzes Stück zurück auf der Anfahrtsstraße gegangen, nur voll gegen den Wind. Auf der Karte offenbarte sich aber auch noch eine Art Feldwegvariante. Zwischen Feldwegen und Straßen gibt es in Moldawien ehrlich gesagt nicht viele weitere Varianten. Aber da es nun schon ein paar Tage trocken war, wagte ich mein Glück. Es ging teilweise ganz schön steil hoch und wieder runter, zwischenzeitlich war der Weg nur noch auf meiner GPS-Karte vorhanden, es musste viel geschoben werden und an einigen Stellen war der Pfad ziemlich ausgesetzt. Das Dorf was dazwischen lag hatte auch sehr abenteuerliche Wege die mich arg an meine Vorstellungen der mittelalterlichen Wegebaukunst erinnerten. Auf einem Feldweg ein paar Kilometer weiter erklärten mir die Bauern, dass es für mich zu schlammig auf meinem präferierten Weg wäre. Am Ende klappte alles, der Umweg über Asphalt gegen den Wind wäre vermutlich schneller und weniger Kräfte zehrend gewesen, aber auch viel langweiliger.

Auf dem Weg nach Saharna.

Noch ein Stückchen weiter nördlich lag das Städtchen Soroca, mit einer kleinen Bilderbuch-Festung direkt am Dnister, der dort die Grenze zur Ukraine bildet. Ehrlich gesagt steuerte ich das Städtchen genau wegen der Festung an, um dann letztendlich festzustellen, dass diese wegen Renovierungsarbeiten geschlossen war – voller Erfolg. Beim Verlassen der Stadt fiel mir im oberen Stadtteil aber noch eine Besonderheit auf: Es gab unzählige viel zu übertrieben prunkvoll gestalteter Villen oder auch Minipaläste. Aber irgendwie scheinen die meisten davon Bauruinen zu sein oder standen scheinbar leer. Später fand ich heraus, dass dies alles Bauten der Roma sind, welche sich in Soroca niedergelassen haben. Roma die auf irgend eine Art und Weise zu einem spontanen Reichtum gekommen sind, scheinen dies gern mit überprunkvollen Anwesen und dicken Autos zur Schau zu stellen, allerdings schien das in Soroca nur so mäßig geklappt zu haben. Wenig später sollte ich in Rumänien eine ähnliche solche Siedlung sehen, wo den Bauherren nicht das Geld ausgegangen war.

Die Festung in Soroca.

Von Soroca aus ging es wieder zurück nach Rumänien, nur etwas weiter im Norden. Ich rollte durch sehr hügeliges Land auf vielen Alleen vorbei an unzähligen Feldern, passierte ab und zu ein paar Bahnlinien auf denen tatsächlich noch ein paar Züge rollten und genoss die Frühlingsstimmung verbreitende Sonne.

Der Moldawien-Besuch war äußerst interessant und hat sich für mich voll gelohnt. Dass ich dahin nochmal zurück reise ist aber aktuell eher unwahrscheinlich. Das Land ist zwar keineswegs hässlich, hat natürlich auch schöne Natur zu bieten, leider halt nur nicht so viel. Es war spannend diese kleine Nachfolgerepublik der Sowjetunion zu bereisen – ein kleines demokratisches Projekt im Osten Europas, welches mit der aktuellen Regierung stark in Richtung EU drängt, in dem es aber an vielen Ecken wohl noch etwas kriselt. Allerdings habe ich da zu wenig erfahren, um ausführlich und vernünftig über die Spannungen im Land berichten zu können. Spannend war es auch die architektonischen Relikte aus der Sowjetzeit zu sehen, teilweise verschmolzen mit traditionellen Elementen aus der lokalen Kultur. Vermutlich war es genau richtig dieses Land noch 2023 bereist zu haben, bevor vieles von diesem alten Charme in den kommenden Jahren verschwunden sein wird, denn das Land befindet sich in einem starken Veränderungsprozess, dies ist an vielen Stellen zu sehen.

Tipps für Radreisende

Zum Abschluss noch ein kleiner Service-Hinweis an künftige Moldawien-Radreisende:

Versucht eine trockene Jahreszeit zu erwischen! Die Moldawier kennen außerhalb von Ortschaften keine Fahrradfahrer und überholen demzufolge ausgesprochen gefährlich, extra Platz für Radler gibt es auf den Straßen nicht. Besser sind dann schon die kleineren Wege oder Sträßchen ohne den großen Verkehr, das schließt aber meistens Asphalt aus und wird bei feuchtem Wetter eine wahre Schlammschlacht 😉

Radreisende scheinen noch sehr selten in dem Land zu sein, ihr bekommt also schon etwas mehr Aufmerksamkeit. Wildcamping ist für mich nie ein Problem gewesen, bei Schlechtwetter gab es immer irgendwo um die Ecke eine schützende Bushaltestelle. Wasser gibt es wie schon erwähnt in Trinkwasserqualität in jeder Ortschaft aus den Brunnen, oftmals aber auch zwischen den Ortschaften. Das Einkaufen ist in Städten wesentlich einfacher als in den Dörfern.


Reisezeit: April – Mai 2023

Kommentare

5 Antworten zu „Einmal quer durch Moldawien“

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    Andreas

    Wieder ein schöner Einblick.
    Ich stelle mir vor im Tante-Emma-Coop nach einem Stück Butter zu fragen da die Butter nur als Sonderware gilt … 😉

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    Steffi

    Ist es wirklich Cricova oder doch Andys Keller? 😀

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      Hm, ich bin mir nicht ganz sicher – vielleicht ist das Tunnelsystem auch mit Andys Keller verbunden?

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    Steffi

    Unklar bleibt auch, wieso du in einer Bushaltestelle dein Zelt aufstellst, wenn es so komfortable Boofen wie in Tipova gibt.

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      Du weißt doch, die Boofen muss man erstmal finden. Und außerdem waren die Mosaike an der Bushaltestelle doch auch ganz hübsch.

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