Eine Wundertüte voll Mexiko

Viel Grün in den Bergen von Chiapas.

Auf dem Weg von Guanajuato durch das Hochland Mexikos in Richtung Süden blieb es trocken und staubig. Damit war auch der Rahmen für die Vegetation abgesteckt: Kakteen; mit kleinsten Blättern an die Trockenheit angepasste Sträucher und Bäume, die zu ihrer Verteidigung gegen gefräßige Vierbeiner meist ebenso mit Dornen ausgestattet waren und hin und wieder auch vertrocknetes Gras. Viele der Flächen waren eingezäunt und dienten der Rinderhaltung, wobei man sich jedoch keine riesigen Herden vorstellen darf – dafür wäre schlicht auch nicht genügend Futter vorhanden. Hin und wieder kam ich auch an Agavenplantagen vorbei, besonders südlich von Oaxaca war die Landschaft nur so von Agaven gespickt. Die Agaven werden vergoren, um Pulque, Tequila und Mezcal herzustellen – sehr wichtige Getränke in Mexiko.

Schon auf dem Abschnitt von Guanajuato bis Puebla gab es genügend Höhenmeter zu überwinden und damit auch immer wieder wunderbare Ausblicke auf die Berglandschaft zu genießen. Ein Höhepunkt war dabei die Vulkankette östlich von Mexiko Stadt unter anderem mit dem Itzaccíhuatl und dem aktiven Popocatépetl. Als ich gegenüber des Popocatépetls kampierte, zeigte sich dieser am Abend noch im wunderschönen Abendlicht; tags drauf hatte er sich aber in seiner eigenen Rauchfahne komplett eingehüllt. Noch unzählige Kilometer weiter weg sollte ich die Rauchfahne dieses Giganten immer mal wieder zu Gesicht bekommen – ein ziemlich besonderes Naturschauspiel.

Von Puebla nach Oaxaca gab es dann eine richtig saftige Ladung an Höhenmetern zu überwinden. Eigentlich ging es nur noch hoch und wieder runter, gepaart mit erbarmungsloser Sonne und wenigen guten Schattenplätzen. Wie sehr diese Etappe an meinen Nerven zehrte, gab es bereits an anderer Stelle zu lesen. Deshalb schlug ich nach Oaxaca dann auch eine etwas weniger bergige Route in Richtung des Pazifiks ein und nicht die oft gepriesene Strecke über Puerto Escondido. Doch bei der Häufigkeit, wie ich die Kamera zwischen Oaxaca und Salina Cruz rausholen musste, konnte diese Routenentscheidung nun auch nicht falsch gewesen sein – es gab wunderschöne steile Täler, atemberaubende Szenen im Abend- und Morgenlicht und wieder neue Kaktusarten zu bestaunen. In dieser Region sah ich auch zum ersten Mal Weißkehl-Elsternhäher – toll gezeichnete Vögel mit einem weiß-blau-schwarzen Federkleid und einem gebogenen Federkamm auf dem Kopf. Ihr markanter Ruf stach immer heraus, wenn sie in der Nähe waren; vom Fotomodell spielen hielten sie jedoch nicht viel und flogen immer wieder fort, sobald ich die Kamera herausholte.

Aber es waren nicht immer nur staubtrockene Gegenden, durch die es bis dahin ging. Hin und wieder gab es doch mal ein Tal mit einem Fluss, der nicht komplett ausgetrocknet war und da betrieben die Mexikaner dann auch noch etwas intensiver Landwirtschaft als nur den Agavenanbau. In diesen fruchtbaren Gegenden gab es unzählige Bewässerungskanäle und überall strotzte es nur so vor Grün – ein Kontrast, der umso stärker zum Vorschein kommt, wenn sonst alles nur von Dürre geprägt ist. Aber so richtig gut fühlten sich diese Gegenden auch nicht an, denn es stank. Schon allein die Müllentsorgung scheint in Mexiko ein großes Problem zu sein; was ich jedoch in der Nähe der natürlichen und künstlichen Gewässer roch, erinnerte mich oftmals leider an Kloake.

Mit dem Erreichen von Salina Cruz lagen die großen Berge zunächst kurzzeitig hinter mir und ich wollte unbedingt an den Pazifik. Auf der Karte fand sich ein Strand, der ziemlich abgelegen zu sein schien und es war ein absoluter Volltreffer. Auf einem schmalen unbefestigten Weg ging es nach dem letzten Dorf in Richtung Meer und schon von Weitem konnte ich die Wellen des mächtigen Ozeans hereinrollen hören. Ich kam an einem Bilderbuchstrand mit einer mächtigen Düne an, an dem nur ein paar wenige Einheimische verweilten, bis ich den Strand irgendwann für den Rest des Tages komplett für mich allein hatte. Nach den unzähligen Höhenmetern der letzten Wochen war das genau was ich nun brauchte – das beeindruckende Rauschen des Pazifiks.

Die flache Küstenregion Oaxacas von Salina Cruz bis San Pedro Tapanatepec war gut, um einfach nur mal ohne Anstrengungen zu rollen; ja es fühlte sich schon fast so an, als ob das Rad von allein fährt. Die Vegetation sah hier indessen ganz anders aus. Die Kakteen hatten sich verabschiedet, dafür gab es viele Palmen und riesige Laubbäume mit gigantischen Stammdurchmessern und ausladenden Baumkronen. Auch gab es in dieser Gegend zahlreiche Mangoplantagen, in denen auch recht viel Betrieb herrschte, denn es war Mangosaison. Der Geschmack der frischen Früchte war unglaublich intensiv und so gab es trotz des furchtbaren Rumgematsches beim Aufschneiden immer wieder Mango im morgendlichen Porridge.

Nach der kurzen Flachlandetappe ging es nun in den nächsten Bundesstaat Chiapas und damit wieder hinauf in die Berge. Doch auch wenn es überall noch staubtrocken war, die Umgebung sah wesentlich grüner als das Kakteen-dominierte Hochland Zentralmexikos aus. Ich befand mich in einer subtropischen Region. Die Landschaft war hier von zum Teil riesigen Laubbäumen geprägt, die über unzählige Luftwurzeln verfügten, die oftmals bis zum Boden reichten und die Bäume stabilisierten. Andere Bäume wiederum hatten ein dichtes Netz aus Wurzeln über großen Felsflächen ausgebreitet, um so in diesem schwierigen Terrain Halt zu finden. Die Gegend sah auf jeden Fall so aus, als ob es da in der Regenzeit ordentlich feucht werden würde; vermutlich muss es da dann nochmal viel schöner aussehen, mit dem saftigen Grün.

Einen absoluten Höhepunkt gab es im Hochland von Chiapas mit dem „Sima de las Cotorras“. Es ist ein elliptisches Sinkloch mit 160 Metern Durchmesser und 140 Metern Tiefe. Doch die geologische Formation war nicht das Highlight, sondern ihre Bewohner. In den Höhlen und Spalten des Sinklochs gibt es eine Papageien-Kolonie mit hunderten von mexikanischen Grünsittichen. Die Papageien verlassen das Sinkloch immer zur Morgendämmerung mit einem lautstarken Spektakel und fliegen dabei in Hundertschaften spiralförmig aus dem Loch heraus und kehren mit einem ähnlichen Aufgebot zur Abenddämmerung zurück. Nachdem ich die mäßige Offroad-Piste zum Biosphärenreservat in der Nähe der Stadt Ocozocoautla gemeistert hatte, durfte ich das Zelt am Rande des Sinklochs aufschlagen und konnte das äußerst beeindruckende Naturspektakel also am Abend und dem kommenden Morgen bestaunen.

Nur ein paar Kilometer weiter, nahe der Großstadt Tuxtla Gutiérres, gab es mit dem „Cañón del Sumidero“ ein weiteres Naturwunder zu bestaunen, diesmal nur etwas touristischer. Der Canyon ist in etwa 13 Kilometer lang und ziemlich schmal. Die Felswände strecken sich nahezu senkrecht in die Höhe, an einer Stelle sogar 1000 Meter hoch. Das Wasser im Canyon kommt vom Río Grijalva, der zur Energiegewinnung angestaut wurde. Das Gebiet um den Canyon herum wurde bereits in den 1970er Jahren zum Nationalpark erklärt und ist nur sehr eingeschränkt zugänglich. Ich nahm daher eine der Bootstouren zur Besichtigung der Schlucht und konnte dabei nicht nur die steilen Felswände, sondern auch noch Krokodile, Affen und zahlreiche Vögel bestaunen. Als einziger „Gringo“ in dem sonst nur mit Mexikanern besetzten Boot fühlte es sich auch nicht wie der Besuch eines Weltwunders an.

Von Tuxtla aus ging es ein letztes Mal durch die Berge Chiapas in Richtung Villahermosa. Mit der 195 wählte ich eine sehr ruhige Straße, die durch viele kleine Bergdörfer führte und wieder mit zahlreichen spektakulären Ausblicken aufwartete. Besonders das Morgenlicht in Kombination mit dem Dunst in den einzelnen Tälern gab der Landschaft eine ganz besondere Stimmung. Auf diesem gefühlt sehr entlegenen Streckenabschnitt wurde es aber auch immer feuchter; es ging nun definitiv in die tropische Zone. Die Täler auf den letzten Kilometern der Bergetappe waren so extrem saftig grün, wie ich es schon lange nicht mehr gesehen hatte. Überall plätscherten jetzt kleine Wasserläufe, und alles war extrem dicht bewachsen – kein Platz für trockenen Staub oder stacheliges Gestrüpp. Es gab Pflanzen mit riesigen Blättern, Hängepflanzen, die in mehreren Meter langen Trieben von Bäumen herab hingen, Bananenstauden die einfach so am Straßenrand herumstanden, Moose und Gräser.

Als die Berge hinter mir lagen, gab es nur noch absolut plattes Flachland. Zunächst ging es kilometerlang durch Bananenplantagen, dann folgten Weideflächen und je näher ich der Großstadt Villahermosa kam, desto stärker verwandelte sich die Landschaft in ein riesiges Feuchtgebiet.

Von Villahermosa aus legte ich einen mehrere hundert Kilometer langen Schlenker über die Yucatan-Halbinsel ein. Das Höhenprofil glich einer Flunder, Wind gab es nur an ein oder zwei Tagen natürlich in Form von Gegenwind und so ließen sich ohne Probleme täglich Strecken von um die hundert Kilometer zurücklegen. Hier war es nun nur noch die Hitze, die mich plagte; dank des Flachlandes knapp über dem Meeresspiegel, mit Temperaturen bis an die 40 Grad Celsius. Ich begann die Radeltage also sehr zeitig, legte eine drei bis vierstündige Siesta ein und radelte am Nachmittag nochmal ein oder zwei Stunden, bis es dann schon wieder dämmerte. Anfangs ging es oftmals entlang der Küste auf einer für meinen Geschmack viel zu viel befahrenen Straße, doch irgendwann bog ich ab, um die bereits in einem anderen Beitrag erwähnte Maya-Stätte Edzna zu besuchen. Aus der oftmals mit Mangroven bewachsenen Küstenregion ging es nun in den dicht bewachsenen Regenwald Yucatans, wobei es auch immer wieder an für die Landwirtschaft gerodeten Flächen vorbeiging. Ich sah Zuckerrohr-, Mais- und Papayaplantagen, aber auch Weiden für die Rinderhaltung. In dieser Gegend sah ich immer wieder ziemlich große Leguane, hörte in ruhigen Gegenden ab und zu Brüllaffen und sah zum ersten Mal zwei Tukane über mir vorbeifliegen.

Von Merida aus wählte ich die Route so, dass ich an ein paar Cenoten vorbei kam. Neben den Maya-Ruinen der Hauptgrund, warum es mich unter diesen heißen Bedingungen ins Flachland verschlagen hatte. Cenoten sind Karsthöhlen, bei denen die Höhlendecke eingestürzt ist und sich im Inneren ein Höhlensee befindet. Auf der Yucatan-Halbinsel gibt es mehrere Tausende solcher Cenoten, wovon noch nicht alle entdeckt sind. Oftmals sind die Cenoten Teil eines größeren Höhlensystems. Einige dieser Cenoten sind für Besucher zugänglich, sie werden zum Teil touristisch vermarktet – je näher man den Touristenhotspots kommt, umso höher gestalten sich die Eintrittspreise. Insgesamt besuchte ich sechs verschiedene Cenoten, wobei allesamt auf dem weniger ausgetretenen Pfad lagen. So waren es wohl nicht die Spektakulärsten, aber ich musste auch nicht Schlange stehen, brauchte nur einmal Eintritt zahlen und war meistens komplett allein vor Ort. Aber um ganz ehrlich zu sein, fand ich das für meinen Geschmack schon trotzdem ziemlich spektakulär unter der Erdoberfläche in einer Höhle am Rande eines Sees zu stehen, durch eine Öffnung in der Höhlendecke das Tageslicht zu sehen und dann auch noch eine Abkühlung im Wasser zu nehmen.

Mexiko ist eine wahre Wundertüte voller verschiedenster Landschaften, Pflanzen und Tiere. Und dabei habe ich nur einen kleinen Teil dieses riesigen Landes besucht, nur eine dünne Linie auf der Karte gezogen – es gäbe noch so viel mehr zu besichtigen. Aber genauso gäbe es noch so viel mehr über Mexiko zu berichten, dies hier war schließlich nur ein kleiner Einblick in die wunderschöne Natur des Landes – da sind ja auch noch die Mexikaner und die mexikanische Kultur, die genauso vielfältig und spannend ist.


Reisezeit: Februar – März 2024

Kommentare

2 Antworten zu „Eine Wundertüte voll Mexiko“

  1. Benutzer Icon
    Andreas

    „Viva mexico.“

    Die Fotos und der Bericht sind sehr spannend. Man müsste schon fast sagen, wie immer.
    Danke für den Einblick.

    Viva los Binnios!

    1. Benutzer Icon

      Vielen Dank! 🙂

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