Nach über vier Jahren und 46.500 Kilometern treuer Dienste wird es nun mal Zeit, „das Tier“ (englisch „the Beast“) hier etwas genauer vorzustellen.
Auf der Suche nach einem Reiserad
Als die Idee mit der Radreise aufkam, begab ich mich auf die Suche nach einem passenden Reiserad. Ein Thema, in das man sich wunderbar hinein nerden kann – ich versenkte zahlreiche Stunden in Internetrecherchen, besuchte einige Fahrradläden, ließ mir Angebote machen und landete letztendlich bei der Leipziger Fahrradschmiede Rotor auf der Couch. Nein, nicht zur Therapie, sondern um mein Reiserad zu planen.
Zu Beginn der Corona-Krise besuchte ich Basti, den damaligen Chef von Rotor in der Hinterhof-Werkstatt im Stadtteil Lindenau. In der Werkstatt war es super gemütlich: Dezente Beleuchtung, überall standen schicke Fahrräder herum, der Arbeitsbereich war halboffen vom „Showroom“ abgetrennt, aber trotzdem voll einsichtig. In einer Ecke gab es etwas erhöht eine kleine Sitzecke mit Couch. Und genau da plauderten wir tatsächlich satte zwei Stunden über sämtliche Komponenten, die an mein Rad sollten. Mir gefiel, dass der Rahmen in Heidenau geschweißt wurde, die Pulverbeschichtung in Leipzig stattfand und ich überhaupt durch den Auftrag bei Rotor das lokale Handwerk unterstützen würde.
Dreieinhalb Monate später bekam ich einen Anruf, dass ich vorbeikommen könne – das Rad sei fertig. Bei der ersten Probefahrt fühlte es sich an, als würde ich auf einem großen Pferd sitzen. Die breiten Reifen, die großen Gepäckträger, der solide Stahlrahmen – es fühlte sich schon etwas erhaben an – so kam das Tier letztendlich auch zu seinem Namen.
Nachdem ich nun also ein Fahrrad mehr daheim stehen hatte, ging es damit in den kommenden Sommerferien auf die erste größere Tour. Vierzehn Tage rollte ich durch Sachsen und lernte das Tier so genauer kennen. Anschließend gab es nochmal einen Termin bei Rotor, wo der Feinschliff kostenneutral stattfand. Es gab einen anderen Lenker und Vorbau und ich musste nur den Differenzbetrag der eigentlichen Komponenten begleichen, die Arbeitsleistung war im Service inbegriffen. Bis zum Start der großen Radreise war noch ein Jahr Zeit – Zeit, die ich für weiteres Finetuning nutzte, Ersatzteile und weiteres Reiseequipment organisierte.
Technische Details
Die Komplettansichten sind vor Beginn der Radreise aufgenommen und zeigen damit das Tier 1.0
Hallo Fahrrad-Nerds, ihr sei vermutlich genau wegen dieser Liste hier:
- Rotor „Meteor“ Rahmen in XL, gefertigt aus einem Columbus Chrom-Molybdän-Stahl Rohrsatz
- verschiebbare Ausfallenden
- Aufnahmen für Scheiben- und Felgenbremsen
- Ösen für mehrere Flaschenhalter und Gepäckträgeraufnahme
- Sanko chromoly Starrgabel mit Aufnahmen für Scheiben- und Felgenbremsen sowie Ösen für einen Lowrider
- SON 28 Nabendynamo
- Igaro D2 Pro Ladeelektronik
- SON Edelux II Frontscheinwerfer
- Rohloff 14-Gang Nabe
- Eigenmodifikation: Pinion-Schaltgriff statt Rohloff-Griff
(HowTo und das Warum gibts hier)
- Eigenmodifikation: Pinion-Schaltgriff statt Rohloff-Griff
- Gates Carbon Riemen CDX 118 Zähne
- Riemenscheiben 46/20 Zähne
vorher auf den ersten 28.500 Kilometern: Kette mit 40/17 Übersetzung
- Ryde Andra 40 Felgen, 36 Loch
- Sapim Race Speichen, an den Kreuzungspunkten gebunden und verlötet
- Felgenbruch hinten in Belize, seit Guatemala daher Sunringle Rhyno Lite XL mit DT Swiss Speichen
- Continental Cross King 29 x 2,2 Zoll Reifen
vorher: Schwalbe Marathon Mondial 28 x 2,0 Zoll - Vierkant Tretlager Shimano UN55 BSA 68-127
- SPD/Plattform Kombi-Pedalen Shimano Deore XT PD-T8000
- Acros Steuersatz
- TRP Spyke Schreibenbremsen mit 180 mm Scheiben
- Tubus Logo Evo Gepäckträger
- Forkcages made in Bogota/Kolumbien von Antonio
vorher: Tubus Grand Expedition Vorderrad-Gepäckträger - Terry Sattel Fisio Climavent Gel Men
vorher: SQlab 610 ergolux active; danach: Brooks Flyer Special - Surly Moloko Bar Lenker
- Ergon Griffe GC1 für Rohloff
Pletscher Comp 18 Flex Hinterbauständer
Aktuelles Setup: The Beast 3.0
So ein richtiges Reiserad wächst natürlich mit den Herausforderungen und es gibt immer wieder mal größere oder kleine Veränderungen des Setups. Schon länger wollte ich etwas leichter und geländegängiger unterwegs sein – Südamerika hat schließlich viele schöne Offroad-Pisten zu bieten, jedoch auch erbarmungslos steile Anstiege. Die kleinen Ortlieb Fronttaschen waren mittlerweile schon unzählige Male geklebt und mit Zahnseide genäht, hielten aber trotzdem keiner halben Stunde Regen mehr stand. Und auch die Schwalbe Marathon Mondial Reifen hatten einige tausend Kilometer auf dem Buckel. Es gab also mehrere Gründe für eine Veränderung.
Beim Aufenthalt in Bogota habe ich deshalb zum einen etwas an Ausrüstung aussortiert und dabei unter anderem sehr schweren Herzens die Gitarlele zurückgelassen. Aber auch das Tier selbst hat an Gewicht verloren: Die SKS Schutzbleche wichen für breitere „Schuhe“ von Continental (auch die Reifen selbst sind leichter als die Vorgänger). Vorn gibt es dafür jetzt einen kleinen Spritzschutz, der am Rahmen festgeklemmt ist. Hinten fängt meine neue Gepäckträger-Modifikation den gröbsten Dreck auf. Mit dieser Modifikation lässt sich der Rucksack nun längs festspannen und die großen Ortlieb-Taschen lassen sich so unkompliziert öffnen, ohne den Rucksack zu entfernen. Damit können dort jetzt endlich Dinge des ständigen Gebrauchs transportiert werden: Regenkleidung, wärmendes Hoodie und das ganze Essen. Das alles war vorn in den kleinen Ortlieb-Taschen verstaut, die nun auch über Board geflogen sind. Genauso wie der klobige Tubus Grand Expedition Vorderrad-Gepäckträger. Stattdessen befinden sich an der Gabel nun zwei Forkcages, an die ganz hip mit Voile-Straps Packsäcke gezurrt sind. Der Packsack, der immer oben auf dem Grand Expedition befestigt war, hängt nun mit am Lenker. Selbst die Benzinflasche wurde „geschrumpft“.
Mittlerweile bin ich nun schon knapp 1000 Kilometer mit dem neuen Setup unterwegs und völlig begeistert. Die Gewichtsreduktion ist deutlich zu spüren; gerade das Vorderrad lässt sich wesentlich leichter anheben. Die neuen breiteren Reifen sind auf unbefestigten Wegen wesentlich komfortabler und ich spüre dank des Profils auch deutlich mehr Grip. In die hinteren Packtaschen zu greifen, ohne den Rucksack loszubinden, ist großartig. Und ich bilde mir ein, sogar bei Gegenwind durch die neue Anordnung sogar eine kleine Erleichterung gespürt zu haben. Nur die Gitarlele fehlt manchmal, dafür geht es aber nun öfter als zuvor auf unbefestigte Wege. Man kann halt nicht alles haben.
Es war einmal …
… das Tier mit einem klassischen Radreise-Setup. Vorn die kleinen Ortlieb-Taschen, hinten die großen, sogar noch mit Außentaschen, quer obendrauf statt Rolle ein Rucksack. Dazu viel mehr oder weniger nützliches Gepäck. Aber schaut selbst auf den folgenden Bildern:
Anfangs gab es zwei Seitenständer: Ein kleiner, den ich zur Abstützung des heftig beladenen Vorderrades „kreativ“ montiert hatte und einen klassischen Hinterbauständer. Schon ziemlich praktisch, wenn man das Rad einfach so parken kann. Der Vorderradständer musste allerdings immer wieder neu ausgerichtet werden; irgendwann lernte ich den Trick mit dem Seil und brauchte den Ständer nicht mehr. Doch nun war zu viel Gewicht auf dem Hinterbauständer – die Schrauben rissen mehrfach ab, sodass ich auch diesen Ständer entfernte und seitdem den sogenannten „Clickstand“ nutze.
Gut zu sehen: Clickstand und das den Rucksack stützende Aluprofil.
Der Rucksack war bis vor kurzem immer quer über den Gepäckträger und die hinteren Packtaschen gezurrt. Zur Stabilisierung des Rucksacks fixierte ich in Polen einen passend geschnitzten Stock mit Kabelbindern am Gepäckträger und verwandelte diese Konstruktion dann in Griechenland während eines Workaway-Aufenthalts in ein kräftiges, angeschraubtes Aluprofil. Aber auch das war einmal, dank der neuerlichen Veränderungen.
Was ist schon alles kaputt gegangen?
Eine der Fragen, die mir schon viel zu oft gestellt wurden. Aber nun gut, hier einmal zum Nachlesen:
- 48 Platten
- 1 gebrochene Felge
- 1 durch idiotisches Bahnpersonal zerstörter Dynamo
- 2 Achter
- 2 verschlissene Tretlager
- 1 ausgeschlagenes Pedallager (nicht die aktuellen Shimanos)
- 1 abgerissener Hinterbauständer (zu viel Gewicht)
- 1 abgerissener Bremshebel (Unfall)
- Ölverlust an der Rohloff (keine Funktionsbeeinträchtigung, habe beim Deutschlandbesuch letztes Jahr einen kostenfreien Service bekommen und seit dem ist Ruhe)
- einige rostige Stellen (dieser verdammte Sauerstoff ey)
Bis auf die Dynamo- und die Felgengeschichte alles nichts Wildes. Natürlich gab es noch etwas Verschleiß: Bremsbeläge, Reifen, Ketten, Lenkerband, …
Bin ich zufrieden?
Die Entscheidung für das individuell aufgebaute Fahrrad von Rotor war gut, die doch recht hohe Investition hat sich meiner Meinung nach gelohnt. Für die zurückgelegte Strecke, das schwere Gepäck und die teilweise ziemlich rauen Pisten auf denen ich unterwegs war, hat das Tier bisher extrem gut durchgehalten. Klar kann man so eine Radreise auch mit einem wesentlich günstigeren Rad machen, dann muss man aber vermutlich auch öfter in Fahrradläden vorbeischauen und wesentlich mehr Aufwand in die Wartung stecken.
Gerade mit dem neuen Setup bin ich eigentlich ziemlich zufrieden und ich verspüre absolut keinen Wunsch nach einem anderen Fahrrad (für diese Reise :-D). Hier noch ein paar Dinge, die man kritisch hinterfragen kann oder zu denen ich immer mal wieder Rückfragen bekomme:
- Die mechanischen Scheibenbremsen sind okay und haben gewisse Vorteile. Die mechanische Ansteuerung per Bowdenzug ist auf solch einer langen Radreise ein großes Plus; die Bremsbeläge für die TRP Spyke sind auch nicht schwer aufzutreiben. Allerdings nervt mich die Spyke trotzdem. Über die Zeit lockern sich die Belagseinstellschrauben, sodass alle 2 – 3 Tage nachgestellt werden muss. Durch Aufbringen von Leinöl, welches anschließend während ein paar Tagen Radelpause verharzt, lässt sich das zwar zeitweise beheben, zufrieden bin ich damit aber nicht. Auch ist bei längeren Abfahrten der Kraftaufwand beim Bremsen recht hoch.
- Die Kette habe ich bereits zu einem Riemen getauscht. Perfekt ist auch der nicht. Laufruhig soll er sein und das ist er auch. Zumindest, wenn es nicht staubig und trocken ist, dann fängt er nämlich an ziemlich zu quietschen. Abhilfe schafft dann zwar schon ein kleiner Spritzer Wasser, doch immer dann, wenn es oft staubig und trocken ist, ist meist auch das Wasser knapp. Trotzdem ist es unglaublich toll, kein Öl oder anderes Schmiermittel zu benötigen; der Riemen lässt sich einfach mit einem nassen Lappen und einer Zahnbürste ziemlich schnell säubern. Notwendig ist das aber viel, viel seltener als beim Kettenantrieb. Es sei denn, man fährt durchs trockene, staubige Mexiko … quietsch, quietsch. Trotzdem würde ich aktuell nicht auf eine Kette zurückwollen.
- Die Rohloff ist großartig für diese Reise. Zur Wartung muss lediglich alle paar Tausend Kilometer das Öl gewechselt werden und selbst das ist ein ziemlich einfacher Job. Es verstellt sich einfach sonst nichts an dem ganzen Setup, seitdem ich mit dem Riemen unterwegs bin, muss nicht mal mehr nachgespannt werden – der Riemen längt sich nämlich nicht wie eine Kette. Dass mich der orginale Rohloff-Schaltgriff genervt hat, habe ich ja schonmal dargelegt, aber auch dafür gab es Abhilfe.
- Noch leichter unterwegs zu sein, wäre toll. Das klappt aber nur, wenn man keine Ausrüstung für alle vier Jahreszeiten dabei haben muss oder auf übermäßige elektronische Technik verzichten kann.
It’s not just a bike
Iran, 2022.
Nur ein Fahrrad? Vielleicht nicht mehr ganz. Klar, es ist ein Fahrrad – ein Gegenstand, der sich wie jeder andere ersetzen lässt. Aber nach all den vielen Kilometern, die ich nun schon auf dem Tier um unsere wunderbare Welt geradelt bin, hat es doch schon etwas an sentimentalem Wert gewonnen. Es trägt ja auch nicht zu Unrecht einen Namen. Aktuell ist das Tier so etwas wie mein Ermöglicher für all diese großartigen Abenteuer. Darum ist auch immer die erste Frage beim Einchecken in eine Unterkunft: „¿Tienen un lugar seguro para mi bici?“ Und wenn es nicht mit ins Zimmer darf oder kein anderes ausreichend sicheres Fleckchen zugewiesen bekommt, so ziehen wir eben weiter.
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